Design Thinking – ursprünglich aus der Innovationspraxis von Unternehmen bekannt – bietet auch für die Hochschuldidaktik wertvolle Impulse. Dieser nutzerzentrierte Ansatz wird im Minor Cultural Tourism Management ab HS 2025 erstmals systematisch in die Lehre am Institut für Tourismus und Freizeit der Fachhochschule Graubünden integriert. Ziel ist es, Lernprozesse so zu gestalten, dass sie nicht nur Inhalte vermitteln, sondern die Bedürfnisse, Perspektiven und Erfahrungen der Studierenden ernst nehmen.
Im Kern geht es beim Design Thinking um einen Perspektivwechsel: weg vom belehrenden Frontalunterricht, hin zu einem empathischen, iterativen Gestaltungsprozess. Lehrpersonen werden nicht nur als Wissensvermittelnde verstanden, sondern als Lernraum-Designerinnen, die flexibel auf Rückmeldungen und Dynamiken reagieren. Diese Haltung verändert die Lehre grundlegend – sowohl in der Planung als auch in der Umsetzung.
Fünf Phasen für flexibles Lehren
Die fünf Phasen des Design Thinking bieten dafür eine hilfreiche Struktur. In der ersten Phase – Empathise – versuche ich zu verstehen, was meine Studierenden wirklich brauchen: Welche Erwartungen, Herausforderungen oder auch Ängste bringen sie mit? In der zweiten Phase – Define – werden diese Beobachtungen genutzt, um gemeinsam mit den Lernenden ein klares Zielbild zu formulieren. Die dritte Phase – Ideate – eröffnet Raum für kreative didaktische Überlegungen: Welche Methoden oder Formate könnten sinnvoll sein, um diese Ziele zu erreichen? In der vierten Phase – Prototype – setze ich neue Ideen in kleinen, didaktischen Interventionen um, zum Beispiel durch veränderte Aufgabenstellungen oder alternative Unterrichtssequenzen. In der abschliessenden Phase – Test – hole ich gezielt Feedback ein, beobachte die Wirkung im Unterrichtsverlauf und passe mein Vorgehen entsprechend an.
Praxisbeispiel: Iterationen im Unterricht
Was bedeutet das konkret? Ich möchte beispielsweise damit beginnen, systematisch qualitative Rückmeldungen von Studierenden während des Semesters zu erfassen – mündlich oder schriftlich, anonym oder offen. Dieses „Mini-Testing“ soll mir aufzeigen, was funktioniert und wo Anpassungen nötig sind. Gleichzeitig stärkt es die Beziehung zu den Studierenden, weil sie merken, dass ihre Stimme zählt. In der Lehre möchte ich kleinere Veränderungen implementieren: mehr Zeit für Diskussionen, flexible Aufgabenformate, individuelle Unterstützung für verschiedene Lerntempi. Auch wenn nicht jede Idee zündet, erlaubt mir der Design Thinking-Ansatz, konstruktiv mit Unsicherheit und Veränderung umzugehen – und aus Erfahrungen zu lernen.
Feedback als Schlüssel zur Weiterentwicklung didaktischer Ansätze
Design Thinking ersetzt keine didaktische Grundlagenarbeit, aber es schärft den Blick für das Wesentliche: Lehre ist kein statisches Produkt, sondern ein sozialer, dynamischer Prozess. Wer Lernumgebungen gestalten will, muss bereit sein zuzuhören, zu reflektieren und immer wieder neu anzusetzen.
Besonders bereichernd ist die Erfahrung, wenn neue didaktische Ansätze – selbst in kleinen Schritten – ausprobiert werden. Sei es durch offene Fragenstellungen, alternative Prüfungsformate oder methodische Variationen: Nicht Perfektion ist das Ziel, sondern Relevanz und Wirksamkeit für die Lernenden. Design Thinking erlaubt hier bewusst das „Unfertige“ – als Einladung zum Mitdenken und Mitgestalten.
Design Thinking im Unterricht bedeutet für mich, Lernräume aktiv zu gestalten, nicht nur mit Inhalten zu füllen. Es heisst, echtes Interesse an den Bedürfnissen meiner Studierenden zu zeigen, gemeinsam mit ihnen Wege zu entwickeln – und dabei offen für Veränderung zu bleiben. So wird Lehre zum gemeinsamen Lernerlebnis.
Take-Aways:
- Design Thinking stärkt Empathie in der Lehre: Studierende werden als aktive Mitgestaltende ernst genommen.
- Kleine didaktische Experimente führen zu grossen Erkenntnissen: Veränderung muss nicht gross gedacht sein, um wirksam zu sein.
- Feedback ist zentraler Bestandteil des Prozesses: Es hilft, die Qualität des Unterrichts kontinuierlich zu verbessern.
- Flexibilität statt Perfektion: Gute Lehre entsteht im Dialog – nicht im Masterplan.
Kontakt
Onna Rageth
Wissenschaftliche Projektleiterin
Institut für Tourismus und Freizeit (ITF)
E-Mail: onna.rageth@fhgr.ch