Das Studium stellt für viele eine der letzten Möglichkeiten dar, eine längere Zeit im Ausland zu verbringen. Deshalb war für mich bereits bei der Studienwahl ein entscheidendes Kriterium, dass ein Austauschsemester absolviert werden kann. Dennoch kamen mir Ende letzten Jahres, als es um den Bewerbungsprozess ging, einige Zweifel auf. Wie wird sich die Corona-Situation bis im Herbst entwickeln? Kann es sein, dass ein weiteres Semester nur online stattfindet? Lohnt sich ein Austauschsemester, wenn man trotzdem nur zuhause sitzt? Nichtsdestotrotz entschied ich mich dazu, mich zumindest zu bewerben. Und siehe an, hier bin ich nun: im Norden Deutschlands, sitze am Campus der FH Kiel und überbrücke meine Zwischenstunden, in dem ich diesen Blogbeitrag schreibe.
Als ich Anfang März die Zusage vom International Office bekam, war die Freude riesig. Zwar habe ich es nicht nach Berlin geschafft – was meine erste Wahl gewesen wäre – dafür aber in die 250'000 Seelen-Stadt Kiel. Für Schweizer Verhältnisse eine grosse Stadt, im Deutschland-Vergleich dann aber doch nur noch knapp in den Top 30 der grössten Städte. Und mittlerweile bin ich sehr glücklich, dass es mich hierher verschlagen hat. Zwar gehört Kiel nicht zu den schönsten Städten Deutschlands – sie wurde im Zweiten Weltkrieg zu grossen Teilen zerstört und unter Zeitdruck wieder aufgebaut – trotzdem hat sie aber ihren Charme. Vor allem die Kiellinie, eine 3.5 Kilometer lange Promenade entlang der Kieler Förde, zieht bei Sonnenschein viele Menschen an und lädt zum Verweilen ein.
Von dort aus fährt auch eine Fähre vom West- hinüber ans Ostufer, wo sich die Fachhochschule befindet. Wenn es nicht regnet, schwinge ich mich deshalb auf meinen Drahtesel, fahre von meiner WG aus an die Kiellinie und nehme die Fähre, welche mich innert wenigen Minuten auf die andere Seite bringt. Denn mal ganz ehrlich: Wo hat man schon die Möglichkeit, übers Wasser zur nächsten Vorlesung zu gelangen? Das muss ich, wenn immer möglich, ausnutzen.
Die FH Kiel hat sich als eine der ersten Hochschulen in Schleswig-Holstein dazu entschieden, wieder komplett in der Präsenzunterricht zurückzukehren. Ich bin dafür sehr dankbar, da es mir eine Routine im Alltag gibt und ich dadurch viele großartige Leute kennenlernen konnte, was online deutlich schwieriger gewesen wäre. Anfang September hatten wir während zwei Wochen Veranstaltungen für alle Austauschstudierenden, wodurch ich Leute von verschiedensten Ländern kennenlernen konnte. Mit einigen von ihnen haben wir zu Beginn des Semesters einen Wochenendtrip nach Berlin unternommen und in wenigen Tagen geht es für eine komplette Woche nach Kopenhagen. Mit dem Semesterticket können wir auch in ganz Schleswig-Holstein und Hamburg kostenlos Zug und Bus fahren. Tagesausflüge nach beispielsweis Lübeck, Flensburg und Hamburg sind also auch kein Problem. Während ich Ende August noch im Zug nach Deutschland sass und mich gefragt habe, was um alles in der Welt ich hier überhaupt mache und warum ich nicht einfach in Chur bleibe, wo ich schon alles kenne, möchte ich nun gar nicht mehr, dass meine Zeit in Kiel irgendwann endet. Die Möglichkeit zu haben, ein Austauschsemester mit Präsenzunterricht zu besuchen, reisen zu können, Freunde abends zum Essen einzuladen und am Wochenende in Clubs zu gehen, konnte ich mir vor einigen Monaten so noch gar nicht vorstellen. Mittlerweile weiss ich, dass dies mit die beste Zeit meines Lebens ist.
Unsere MMP-Studentin Dorit Bosshard studierte während ihrem dritten Semester an der Fachhochschule Kiel.