Wohnungsnot in der Schweiz ist ein drängendes Problem, das viele Menschen betrifft – und im Wahljahr auf der politischen Agenda den Spitzenplatz eingenommen hat. Entsprechend reichen politische Forderung je nach Partei von Vorkaufsrecht, Zuwanderungsverbot, Verbot von Airbnb, mehr Genossenschaftswohnungen – das Raumplanungsgesetz und Zweitwohnungsgesetz zu lockern, mehr zu Bauen… bis hin zum Verbot oder Abschaffung von Baugesetzen. Doch das alles sind nur zielführende oder weniger zielführende Bausteine die Situation mildern, aber das Kernproblem damit nicht lösen.
Mit diesen Ideen und Lösungsvorschlägen wird nur an der Oberfläche gekratzt, und die Symptome der Wohnungsnot werden bekämpft, anstatt sich mit den zugrunde liegenden Ursachen auseinanderzusetzen. In diesem Blogartikel werden die Wirkungszusammenhänge analysiert und aufzeigt, warum es wichtig ist, das Problem an der Wurzel anzugehen.
Die Auswirkungen der Wohnungsnot verstehen
Die Wohnungsnot in der Schweiz hat erhebliche Auswirkungen auf Einzelpersonen, Familien und die Gesellschaft als Ganzes. Steigende Mietpreise, ein Mangel an bezahlbarem Wohnraum und die Zunahme von Obdachlosigkeit sind nur einige der Probleme, die durch die Wohnungsnot verursacht werden. Diese Auswirkungen haben weitreichende Konsequenzen und beeinflussen das Wohlergehen der Menschen sowie die soziale und wirtschaftliche Stabilität des Landes. Parallel zur Lösung des Problems ist es ebenso von entscheidender Bedeutung, sich mit den Auswirkungen der Wohnungsnot auseinanderzusetzen, um das Bewusstsein für die Dringlichkeit der Lösung dieses Problems zu schärfen und die Notwendigkeit eines umfassenden Ansatzes zur Bekämpfung der Wohnungsnot zu betonen.
Die Symptombekämpfung
Massnahmen zur Bekämpfung der Symptome der Wohnungsnot umfassen insbesondere Wohnraumförderung von Genossenschaften oder Subventionierung von Wohnungen bspw. über Ergänzungsleistungen die Schaffung von Sozialwohnungen. Staatliche Unterstützung für einkommensschwache Haushalte, Bereitstellung von Notunterkünften und temporären Unterkünften sowie die Förderung von Genossenschaften und gemeinnützigen Organisationen. Diese Massnahmen zielen lediglich darauf ab, den Mangel an bezahlbarem Wohnraum zu lindern und akute Wohnungsprobleme sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen zu bewältigen.
Mietpreisregulierungen, Eingriffe in Eigentumsrechte wie Mietpreisdeckelung, Renditebeschränkung etc. haben politisch selten Mehrheiten und werden kaum realisiert.
Lockerung von Gesetzen wie das Zweitwohnungsgesetz, oder Raumplanungsgesetz, Neueinzonungen werden das Problem und die Zersiedlung verschärfen.
Alle diese heute aktuellen Massnahmen sind oft vorübergehender Natur und gehen nicht die eigentlichen Ursachen der Wohnungsnot an. Um langfristige Lösungen zu finden, müssen auch die strukturellen Probleme wie Entkoppelung der Bautätigkeit von der Nachfrage, Treiber der Partikularinteressen, wirtschaftlichen Interessen und Problematik von Wachstumstrategien, Anlagedruck und bei gleichzeitigem Anlagenotstand und Zinspolitik angegangen werden.
Die Wurzel des Problems
Im Rahmen meiner langjährigen Forschung zur Wohnraum(fehl)entwicklung sind die zugrunde liegenden Ursachen für die Wohnungsnot in der Schweiz ein Cocktail von Faktoren. Faktoren wie eine hohe Nachfrage nach Wohnraum aufgrund von Bevölkerungswachstum, begrenzte Baulandressourcen, fehlende Investitionen in den sozialen Wohnungsbau und spekulative Immobiliengeschäfte. Die Hauptursache ist das Wirtschaftswachstum. Direkt damit im Zusammenhang steht die Zuwanderung.
Die Anzahl Vollbeschäftigte hat sich seit 1960 fast verdoppelt und dadurch auch die Nachfrage nach Wohnraum. Doch die Zuwanderung als Sündenbock zu lancieren ist nicht stichhaltig. Selbst haben wir nicht genügend Arbeitskräfte, und unsere Wirtschaft ist so stark gewachsen, dass wir auf Zuwanderung angewiesen sind. Diese Menschen brauchen auch ein Dach über dem Kopf. Darum wird in zehn Jahren mit zehn Millionen Menschen in der Schweiz gerechnet. Wohnraum hätte es rein rechnerisch aktuell genug, doch Angebot deckt sich nicht mit der Nachfrage. Was fehlt sind Wohnungen zu tragbaren Mieten und die Wohnungen die durch Zweitwohnungen, Airbnb, Businessapartemts dem Markt entzogen sind.
Denn gebaut wird insbesondere für Rendite und nicht für Meschen. So entstehen Wohnungen, die niemand will oder bezahlen kann. Es wird auch nicht unbedingt zuwenig, aber nicht das was dem Bedarf der Gesellschaft entspricht gebaut.
Treiber unter anderem sind eine exorbitanter Anlagedruck, dem ein Anlagenotstand entgegensteht. Verschärft durch Niedrigzins – und expansive Geldpolitik entsteht eine zunehmend volatile Wirtschaftslage. Die Investition in Immobilien ist für viele, insbesondere institutionelle Anleger, der einzige Ausweg ihr Geld in Immobilien zu parkieren und so mitunter auch vor Inflation zu schützen. So entsteht Betongold. Die Summen, die in den letzten Jahren in den Immobiliensektor flossen, sind so enorm, dass sie die Gesetze des Marktes verändert haben. Entsprechend ist die Wohnungsproduktion unflexibel und konnte respektive wollte der Nachfrage nie folgen, weil wir ein System und Anreize geschaffen haben, das die adäquate Produktion von Wohnraum verunmöglicht. Wohnraum wurde zum Finanzprodukt. Wohnen ist jedoch ein Grundrecht – wenn Grundrechte kapitalisiert werden, gerät früher oder später ein System aus den Fugen.
Der Wohnungsmarkt in der Schweiz leidet unter einer deutlichen Knappheit an finanziell tragbaren Wohnungen, die sowohl in den Städten als auch in ländlichen Gebieten spürbar ist. Die steigende Nachfrage insbesondere nach sogenannt zahlbaren Wohnraum, also Wohnungen ohne maximale Gewinnmargen (Kostenmiete) derzeit nicht ausreichend durch den Wohnungsbau gedeckt werden, was zu Engpässen führt. Der Wohnungsmarkt ist sehr angespannt – die Politik spricht von Wohnungsnot, Expert:innen von einer Systemkrise.
Der Bedarf an Wohnungen steigt jährlich um etwa 50'000 Haushalte, während die Bautätigkeit nicht Schritt halten kann. Laut dem Bundesamt für Wohnungswesen fehlen jährlich 5'000 bis 10'000 Wohnungen. Dabei gilt anzumerken, in peripheren Randregionen – Tourismusgebiete ausgenommen – besteht keine Wohnungsnot, sondern nach wie vor ein überdurchschnittlich hoher Leerstand.
Die rückläufige Bautätigkeit ist teilweise auf frühere Überkapazitäten zurückzuführen, als Pensionskassen und Versicherungen aufgrund der schwachen Zuwanderung vermehrt Wohnungen gebaut haben. Damals gab es sogar Leerstände, und Vermieter lockten Mieter mit Anreizen. Es war jedoch nicht absehbar, dass die Nachfrage zu einem späteren Zeitpunkt stark steigen würde. Derzeit erschweren vor allem die hohen Baukosten den Wohnungsbau. Der Bau von Mehrfamilienhäusern verteuerte sich aufgrund gestiegener Rohstoff- und Energiepreise. Last but not least ist einfach mehr Wohnungen zu Bauen, nicht die Lösung des Pudels Kerns. Als Anschauungsbeispiel: Die hohe Bautätigkeit der letzten Jahre lancierte eine wahre Abrisskultur - Im vergangenen Jahr sind in der Stadt Zürich[1] 1'151 Wohnungen abgerissen und 2'556 neu gebaut worden. Gleichzeitig ist die Bevölkerung um rund 7'000 Personen gewachsen. Das Bauen kommt den Menschen nicht nach. Und mit dem Abriss von Altbauten werden fast immer zahlbare Wohnung vernichtet – eine Pyruslösung.
Lösungsansätze zur Bekämpfung der Wohnungsnot
Gefragt sind innovative Lösungsansätze, die darauf abzielen, die Wurzel des Problems anzugehen. Zu diskutieren sind Möglichkeiten wie eine verbesserte Raumplanung, dynamische Baugesetze die Anreize von Mehrausnutzungen an Qualität knüpfen, die Forderung und Förderung von nachhaltigem Wohnungsbau, die Zusammenarbeit zwischen Regierung und privatem Sektor sowie Investitionen in den tragbaren Wohnungsbau. Notwendig ist eine umfassende Analyse der strukturellen Probleme und ihrer Auswirkungen auf die Wohnungsnot, um nachhaltige Lösungen zu finden.
Zentral ist jedoch, dass Bauen im Bestand, Sanieren, Erhalten statt Ersetzen, sorgfältige Nachverdichtung auch für eine sozialverträgliche Siedlungsentwicklung wichtige Faktoren sind die bisher wenig im Fokus von Lösungsansätzen stehen. Zentral ist die Bedeutung einer ganzheitlichen Herangehensweise, bei der die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt und Lösungen die breit getragen sind, ausgehandelt werden. Und das Bewusstsein, dass hier ein System korrigiert werden muss das ein Umdenken und entsprechendes Handeln erfordert. Schnelle ideologische Lösungen sind dabei nicht zielführend.
[1] Leider liegen mir für den Kanton Graubünden oder Chur keine aktuellen Statistiken vor.
Autorin
Prof., Ing. Raumplanung BSc HTR FSU / Ökonomin MAS MBA Christine Seidler ist Dozentin am IBAR und unterrichtet Digitalisierung und Nachhaltigkeit & Mobilität. Sie ist Leiterin des Forschungsfeldes Raumplanung.