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Institut Bauen im alpinen Raum Blog

Jah­re­lan­ge Ent­wick­lungs­pro­zes­se als spe­zi­el­le Her­aus­for­de­rung

Das Beispiel der neuen Kanzlei in Urnäsch

Das Schöne am Beruf der Architektin und des Architekten ist, dass am Ende der Arbeit ein greifbares Bauwerk entsteht. Dieser Prozess kann allerdings mehrere Jahre dauern.

Kürzlich wurde unter grossem Interesse von Bevölkerung und Medien die neue Kanzlei im Zentrum des historischen Dorfkerns von Urnäsch AR eröffnet. Bei der feierlichen Einsegnung und dem anschliessenden spannenden Rückblick auf die Baugeschichte wurde die wegbereitende Grundlagenarbeit und die entscheidende Prozessbegleitung durch das Institut IBAR der Fachhochschule Graubünden hervorgehoben. Die Gemeinde Urnäsch als Bauherrin lobte die reibungslose Zusammenarbeit der zahlreichen Spezialisten und unterstrich die Bedeutung einer sorgfältigen ortsbaulichen Analyse und eines qualifizierenden Verfahrens für solch ein wichtiges Gemeindeprojekt.

Das Spezielle an diesem Rückblick: Begonnen hatte unsere Arbeit für die neue Kanzlei im Jahre 2015. Als die unerwartete Anfrage der Gemeinde Urnäsch AR an den Forschungsbereich Siedlungsplanung und Ortsbildentwicklung des IBAR gelangte, hätte niemand gedacht, dass 7 Jahre später tatsächlich die Expertentätigkeit der Churer Spezialistinnen und Spezialisten im entfernten Appenzeller Dörfchen zu einem begeisternden Resultat im Massstab 1:1 führen würde.

Frühe Proportionsstudie am Modell. Foto: C. Wagner - Die neu erstelle Kanzlei Urnäsch. Foto: Gemeinde Urnäsch

Neubau im geschützten Ortsbild?

Die Ausgangslage war tatsächlich nicht ganz einfach: Im geschützten Ortsbild von nationaler Bedeutung sollte das markante, fast 400-jährige Kanzleigebäude ersetzt werden. Untersuchungen verschiedener Experten hatten aufgezeigt, dass die gesamte Tragfähigkeit der alten Gebäudestruktur durch zahlreiche Umbauten der vergangenen Jahrzehnte und Jahrhunderte in einem so hohen Grad gelitten hatte, dass in Kombination mit energetischen und bauphysikalischen Überlegungen sowie viel zu niedriger Raumhöhen eine Sanierung und Ertüchtigung nicht mehr in Frage kam. Stattdessen drängte sich ein Neubau auf, der aber im gleichen Atemzug zahlreiche neue Fragen aufwarf. So war die Problematik der ungelösten Parkierung zentral, ebenso die Forderung nach Verdichtung. Grössere Stockwerkshöhen führen zu veränderten Proportionen. Die Lage am Brückenkopf über den gleichnamigen Fluss der «Urnäsch», der im Baugebiet dokumentierte frühere Friedhof sowie insbesondere der Eintrag im Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz «ISOS» - all diese Punkte machen deutlich, wieso die appenzellische Gemeinde das Know-how des auf genau solche Fragestellungen spezialisierten Forschungsbereichs «Ortsbildentwicklung und Siedlungsplanung» der Fachhochschule Graubünden in Anspruch nahm. In intensiven und sensiblen Variantenstudien wurde geprüft, wie das neue Gebäude organisiert und ortsbaulich in die historische Umgebung eingebettet werden kann. Aus den entwickelten Erkenntnissen erarbeitete und begleitete das Team des IBAR einen Architekturwettbewerb. Damit dieser im Einladungsverfahren möglich wurde, war die Einbindung eines privaten Investors notwendig. Die Kenntnisse der GATT/WTO Vergabemodalitäten für öffentliche Aufträge spielen bei solchen Prozessen ebenfalls eine wichtige Rolle!

So gut dann auch die Resultate aus einem solchen qualifizierenden Verfahren sein mögen, gilt es in der Folge, die Bevölkerung vom Projekt und der notwendigen Finanzierung zu überzeugen. Erst dann starten die Ausführungsplanung und die anschliessende Realisierungsphase. Und so waren sich bei der Eröffnung der Kanzlei alle Beteiligten einig: 7 Jahre Projektlaufzeit von den ersten Überlegungen bis zur Einweihung ist für ein solch komplexes und anspruchsvolles Bauprojekt rekordverdächtig.

Dass die Projektnummer in den Jahresabschlüssen der Buchhaltung der FHGR intern jedes Mal rot aufleuchtet und von Neuem erläutert werden muss, ist verständlich.

Rom wurde auch nicht an einem Tag gebaut.

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