Über Struktur, Hirarchie und Ordnung beim Bauen
Vieles in unserer Gesellschaft ist strukturiert und hierarchisch aufgebaut. So folgen auch die traditionellen Strukturen unserer Dörfer und Städte bestimmten Regeln. Sonderbauten wie Kirchen, Rathäuser, Bahnhöfe oder Schulen heben sich von der Regelbauweise, den «banalen» Wohnhäusern, ab.
Und nicht anders als überall in der Gesellschaft, werden diese Hierarchien laufend in Frage gestellt. Manche Bauwerber im Dorf wollen nicht einsehen, wieso ihr Mehrfamilienhaus auch in heutiger Zeit noch immer nicht die Kirche überragen sollte.
In Zeiten des erklärten Individualismus und der fortschreitenden Vernetzung wird Wissen ausgetauscht, die Ferieneindrücke in der Toskana nach Hause getragen und Formensprachen vermischt. Dass dies einen signifikanten Einfluss auf unsere Siedlungsräume hat, zeigt sich deutlich. Das Geflecht von Hierarchien und Ordnungsprinzipien verwässert sich zunehmend und ein Sammelsurium von Andersartigkeiten wächst heran.
Diese kritische Beobachtung illustriert die ausserordentliche thematische Vielschichtigkeit und Komplexität architektonischer und ortsbaulicher Fragestellungen, die Planungen und Bauvorhaben zu bewältigen haben.
Der Verlust der Ordnungsprinzipien
Und trotzdem: Angesichts des oben erwähnten und nicht wegzudiskutierenden baulichen Sammelsuriums und globalen Einerleis in vielen Ortsbildern zweifelt man entweder an dem Berufsstolz des Architekten oder aber am System. Die Frage nach den Ursachen und der Ruf nach allfälligen Verbesserungsstrategien ist berechtigt. Der Verlust von Ordnungsprinzipien dürfte bei dieser Suche eine wesentliche Rolle spielen: Ein Gebäude wird nach gestalterischen Kriterien entworfen. Die Fensteranordnung und -proportionierung folgt einem gewissen Raster oder einer Regel, die Fassadengestaltung basiert auf einem definierten Rhythmus und die Zimmereinteilung erzeugt funktionale Beziehungen zwischen den Räumen. Es gibt ein System, wie das Gebäude funktioniert und gestaltet ist. Von Hierarchie lässt sich sprechen, wenn Grundrisse, Bauteile und/oder Fassadenstrukturen durch Unterschiede in ihrer Form, Anordnung und Wertigkeit in Bezug auf den baulichen Gesamtzusammenhang in eine Rangordnung oder -folge gebracht werden. Einige Bauelemente dominieren andere und es entsteht ein System von Ordnungsprinzipien.
Damit nun diese individuellen Häuser auch auf Ebene Gemeinde ein übergeordnetes System erzeugen, müssten Planende sich ihrer Verantwortung bezüglich des öffentlichen Raumes bewusst werden und über die Parzellengrenze hinaus gewisse übergeordnete, ortstypische Gestaltungsmerkmale in ihren Gebäuden aufnehmen, wie beispielsweise die Proportion und Grösse der Gebäudevolumen, Dachformen oder Prinzipien der Fassadengestaltung und -Materialisierung. Die Umgebung sollte dabei als künstlerischer Kontext betrachten werden, in den es einen weiteren Ortsbaustein einzufügen gilt.
Wer kümmert sich um die übergeordnete Gestaltung?
Leider gibt es niemanden, der sich um diese übergeordnete Gestaltung eines Ortes kümmert. Es gibt auch keine definierten, hierarchisch höher gestellten Gestaltungsprinzipien, an die sich Planende halten müssen. In den Neubau-Gebieten sind es individuelle Solitäre in verschiedenen architektonischen Sprachen, die schon gar nicht erst versuchen, einen öffentlichen Raum zu gestalten. Wäre vielleicht ein neues Berufsbild der «Ortsbild-Kümmerin» oder des «Ortsbild-Kümmerers» ein Lösungsansatz? Jedenfalls ist nicht von der Hand zu weisen, dass als Ergänzung zu den starren Baugesetzen die Neueinführung eines übergeordneten Gestaltungsinstruments nötig ist, soll das wachsende Sammelsurium an Andersartigkeit gebremst und ein harmonisches Ortsbild erreicht werden.
Autor
Mirco Blöchlinger, dipl. Architekt FH, arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FH Graubünden. Nebst seiner Teilzeitstelle, besucht er das Masterstudium.