Die Diskussion rund um Nachhaltigkeit in der Automobilbranche fokussiert sich häufig auf Elektromobilität und Emissionsreduktion. Deutlich seltener wird hinterfragt, welche Materialien in modernen Fahrzeugen verbaut werden – insbesondere Echtleder, dessen Ursprung oft im globalen Süden liegt (Scholz et al., 2024).
Brasilien ist weltweit der zweitgrösste Rindfleischproduzent und spielt im globalen Fleisch- und Lederhandel eine zentrale Rolle (USDA, Foreign Agricultural Service, 2024). Dabei ist die Lederproduktion eng mit Umweltproblemen verknüpft, vor allem mit Abholzung des Amazonas. Für neue Weideflächen werden grosse Flächen Regenwald illegal gerodet. Rinder werden dort gehalten, weiterverkauft und durch mehrere Zwischenfarmen geschleust – ein Vorgang, bekannt als „Rinderwäsche“ – wodurch ihre Herkunft kaum mehr nachvollziehbar ist (Scholz et al., 2024).

Ein Grossteil des brasilianischen Leders geht nach China, Italien und in die USA (CICB, 2025). Auch europäische Automobilhersteller beziehen Leder über internationale Zulieferer, wodurch sie indirekt in die Problematik eingebunden sind (Andreoni et al., 2021).
Lederbeschaffung bei Mercedes
Mercedes-Benz hat erkannt, dass diese Verbindung ein erhebliches Compliance-Risiko darstellt (Mercedes-Benz Group, 2024a). Denn illegale Abholzung widerspricht nicht nur den unternehmenseigenen Umweltstandards, sondern auch gesetzlichen Vorgaben wie dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Seit Januar 2024 sind Unternehmen verpflichtet, menschenrechtliche und ökologische Sorgfaltspflichten entlang ihrer Lieferketten umzusetzen (SECO, 2025).
Im Folgenden wird die aktuelle Beschaffungsstrategie Mercedes-Benz mithilfe einer SWOT-Analyse bewertet, um zentrale Chancen, Risiken und Handlungsfelder der Lederbeschaffung im brasilianischen Kontext zu bewerten.
Stärken
Mercedes-Benz setzt in der Lederbeschaffung auf strenge ökologische und soziale Standards, was eine zentrale Stärke darstellt (Mercedes-Benz Group, 2024a). Lieferanten müssen die Responsible Sourcing Standards unterzeichnen und die gesamte Lieferkette offenlegen – von der Farm bis zum Endprodukt (Mercedes-Benz Supplier Portal, 2025). Über die Hälfte des brasilianischen Leders stammt aus vollständig rückverfolgbaren Kreislaufbetrieben. Die Rückverfolgbarkeit wird zudem durch Satellitendaten und externe Audits sichergestellt. Ergänzend arbeitet Mercedes-Benz an tierfreien Lederalternativen und setzt vermehrt auf recycelte Materialien. Das Prinzip „local for local“ stärkt zudem regionale Lieferketten und senkt Transportemissionen (Mercedes-Benz Group, 2024a).
Schwächen
Trotz dieser Massnahmen bleibt die Lieferkette nicht vollständig transparent. Insbesondere bei indirekten Rinderlieferanten ist die Rückverfolgbarkeit eingeschränkt – etwa durch „Rinderwäsche“ (Scholz et al., 2024). Zwar werden bereits über die Hälfte der brasilianischen Häute aus geschlossenen Kreislaufsystemen bezogen, doch der verbleibende Anteil birgt weiterhin Risiken. Zudem ist Mercedes-Benz auf externe Zertifizierungen und die Einhaltung der Vorgaben durch Zulieferer angewiesen, was den eigenen Einfluss begrenzt (Käufer, 2023).
Der Einsatz tierfreier Materialien befindet sich erst im Anfangsstadium, Echtleder bleibt Standard. Dies verstärkt die Verbindung zu einer Industrie, die mit ökologischen und sozialen Problemen assoziiert ist (Prengel, 2019). Zudem besteht ein Reputationsrisiko: Trotz eingeleiteter Massnahmen bleibt die öffentliche Kritik an der Rolle der Automobilbranche bei der Entwaldung bestehen (Deutsche Umwelthilfe e.V., 2021).
Chancen
Das gestiegene Bewusstsein für entwaldungsfreie Lieferketten – sowohl auf Seiten der Verbraucher als auch im politischen Raum – bietet Mercedes-Benz die Möglichkeit, sich klar als Vorreiter im Bereich nachhaltiger Materialbeschaffung zu positionieren. Die Erforschung und Integration von innovativen Materialien wie solchen aus Kaktusfasern oder Pilzmyzel könnten den Einsatz von tierischem Leder reduzieren und neue Marktsegmente erschliessen (Mercedes-Benz Group, 2024b). Zusätzlich bietet der Trend zu tierfreien und recycelten Materialien Chancen zur Diversifizierung des Angebots und zur Erschliessung neuer Kundensegmente (PETA, 2023).
Risiken
Die Gefahr, dass Leder aus illegalen Quellen in die Lieferkette gelangt, bleibt bestehen – insbesondere bei nicht rückverfolgbaren Lieferwegen. Gesetzliche Vorgaben wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erhöhen den Druck und können bei Verstössen zu juristischen Konsequenzen und Imageschäden führen (Scholz et al., 2024).
Handlungsempfehlung
Wie die vorangegangene Analyse zeigt, hat Mercedes-Benz bereits zentrale Massnahmen zur nachhaltigen Lederbeschaffung umgesetzt. Diese basieren auf einem verantwortungsvollen Beschaffungsansatz, der durch klare Nachhaltigkeitsstandards, Rückverfolgbarkeit sowie die Zusammenarbeit mit zertifizierten Partnern geprägt ist. Insbesondere der Bezug von Häuten aus geschlossenen Kreislaufbetrieben sowie die Zusammenarbeit mit Organisationen zur Überwachung der Lieferkette bilden zentrale Bestandteile dieser Strategie (Mercedes-Benz Group, 2024a). Diese bestehenden Ansätze sollten konsequent fortgeführt werden.
Im Bereich der Materialinnovation sollten bereits getestete Alternativen – etwa auf Basis von Pilzmyzel – ausgebaut und in die Serienfertigung überführt werden (Covestro, 2024). Parallel dazu sollten Rücknahme- und Recyclingprogramme für Innenausstattungen ausgebaut werden, um die Kreislaufwirtschaft zu stärken.
Zudem bietet sich eine intensivere Zusammenarbeit mit Akteuren vor Ort an: NGOs, lokale Organisationen und indigene Gemeinschaften könnten als Partner gewonnen werden, um soziale und ökologische Standards in der Rinderhaltung zu verbessern. Solche Kooperationen würden nicht nur die Transparenz in der Lieferkette erhöhen, sondern auch das Engagement von Mercedes-Benz in den betroffenen Regionen sichtbar machen. Die Herausforderungen der brasilianischen Lederproduktion sind komplex. Mercedes-Benz hat jedoch bereits zentrale Grundlagen für eine nachhaltige Beschaffung gelegt. Um diese weiterzuentwickeln, sind gezielte Investitionen in Technologie, Materialinnovation und die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern erforderlich – mit dem Ziel, langfristig stabile und verantwortungsvolle Lieferketten zu gewährleisten.
Melisa Dontas - Studierendenbeitrag
Literatur
Andreoni, M., Tabuchi, H. & Sun, A. (2021). How Americans’ Appetite for Leather in Luxury SUVs Worsens Amazon Deforestation. https://www.nytimes.com/2021/11/17/climate/leather-seats-cars-rainforest.html
CICB. (2025). Brazilian Exports of Hides and Skins https://brazilianleather.cicb.org.br/images/uploads/posts/brazilian-exports-of-hides-ans-skins-fev25-eng_1741606403.pdf
Covestro. (2024). „Beyond Leather Materials“ entwickelt neue, zu über 85 % biobasierte Lederalternative aus Apfelabfällen unter Verwendung von PU-Dispersionen von Covestro. ‘Beyond Leather Materials’ Develops New, >85% Bio-based Leat. https://www-covestro-com.translate.goog/press/beyond-leather-materials-develops-new-85-bio-based-leather-alternative-made-with-apple-waste-using-pu-dispersions-from-covestro/?_x_tr_sl=en&_x_tr_tl=de&_x_tr_hl=de&_x_tr_pto=sge
Deutsche Umwelthilfe e.V. (2021). Waldzerstörung für Leder. https://www.duh.de/informieren/naturschutz/waldzerstoerung-fuer-leder
Käufer, T. (2023). Brasiliens Rindfleisch-Dilemma. dw.com. https://www.dw.com/de/wachstum-oder-klimaschutz-brasiliens-dilemma-mit-dem-rindfleisch/a-65349216
Mercedes-Benz Group. (2024a). Gegen Entwaldung: unsere Aktivitäten in der Lederlieferkette | Mercedes-Benz Group. https://group.mercedes-benz.com/nachhaltigkeit/umwelt-klima/umweltmanagement/gegen-entwaldung.html
Mercedes-Benz Group. (2024b). Innovative Materialien für nachhaltigen Luxus. https://group.mercedes-benz.com/nachhaltigkeit/ressourcen-kreislaufwirtschaft/materialien/nachhaltige-materialien.html
Mercedes-Benz Supplier Portal. (2025). Responsible Sourcing Standards: Für mehr Nachhaltigkeit. https://supplier.mercedes-benz.com/docs/DOC-2672
PETA. (2023). Leather Working Group: Tierleid hinter zertifiziertem Leder. https://www.peta.de/themen/lwg-zertifiziertes-leder
Prengel, H. . (2019). Tierfreie Materialien: Vegane Autos sind der neue Trend. RP ONLINE. https://rp-online.de/leben/auto/tierfreie-materialien-vegane-autos-sind-der-neue-trend_aid-41794339
Scholz, J.-P., Weis, A. & Meier, J. (2024). Story: Illegales Leder – Wie deutsche Autobauer den Regenwald bedrohen - hier anschauen [Video]. ARD Mediathek. https://www.ardmediathek.de/video/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2FyZC1zdG9yeS8yMDI0LTAzLTI2XzIzLTA1LU1FWg
Staatssekretariat für Wirtschaft SECO. (2025). Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LKSG) Deutschland. https://www.kmu.admin.ch/kmu/de/home/praktisches-wissen/import-export/lieferkettensorgfaltspflichtengesetz.html
USDA, Foreign Agricultural Service. (2024). Production beef. https://www.fas.usda.gov/data/production/commodity/0111000