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Ge­dan­ken zu «Silent Voices»

In einer Welt, die vor Lärm, Meinungen und Informationen überquillt, drängt sich eine unbequeme Wahrheit auf: Manche Stimmen bleiben ungehört. Nicht, weil sie nichts zu sagen hätten, sondern weil entschieden wird, ihnen keinen Raum zu geben. Diese «Silent Voices» – die Stillen und Unsichtbaren unserer Gesellschaft – tragen eine Last, die oft schwerer wiegt, als wir es uns eingestehen und vorstellen wollen. Sie sind nicht stumm, doch ihre Worte verhallen im Getöse derer, die bestimmen, welche Geschichten wichtig sind.

Mit «Silent Voices» sind Stimmen von Menschen oder Gruppen in der Gesellschaft gemeint, deren Meinungen, Bedürfnisse und/oder Erfahrungen nicht gewichtet oder nicht wahrgenommen werden. Die Stimmen können aus unterschiedlichen Gründen marginalisiert oder überhört werden:

  1. Systemische Unterdrückung: Menschen werden aufgrund von Vorurteilen oder sozialen Normen bewusst nicht einbezogen. Beispiele können ethnische Minderheiten, Frauen in patriarchalen Gesellschaften oder die LGBTQIA+-Gemeinschaft sein;
  2. Sozioökonomische Benachteiligung: Armut, geringe Bildung oder soziale Isolation machen es schwer, sich Gehör zu verschaffen. Beispiele sind Arbeitsmigrant:innen, Menschen die am Existenzminimum leben oder arbeitslose Personen;
  3. Politische oder kulturelle Marginalisierung: religiöse oder kulturelle Minderheiten gehören häufig zu den «Silent Voices», weil ihre Lebensweisen oder Überzeugungen nicht zur Mehrheit passen und deshalb nicht inkludiert werden;
  4. Unsichtbarkeit durch Machtstrukturen: Kinder, ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen werden in Entscheidungsprozessen oft nicht gehört, obwohl sie von den Ergebnissen direkt betroffen sind. Ihre Perspektiven werden nicht gewichtet, weil sie nicht in die Dynamiken von Macht und Kontrolle passen.

Die Stille der Marginalisierten ist kein Zufall. Sie ist das Ergebnis jahrzehntelanger Strukturen, die Privilegien sichern und Macht ungleich verteilen. Ethnische Minderheiten, Frauen, Menschen mit diversen sexuellen Orientierungen und Identitäten – sie alle kämpfen nicht nur darum, gehört zu werden, sondern auch darum, dass ihre Lebensrealitäten als gleichwertig anerkannt werden. Es sind keine Einzelschicksale, sondern systematische Muster. Diejenigen, die sich gegen diese Muster auflehnen, werden übertönt, kleingeredet oder schlicht ignoriert, damit das vertraute Gefüge nicht ins Wanken gerät. Doch je länger weggehört wird, desto instabiler wird unser aller Fundament.

Nicht anders verhält es sich mit der stillen Ausbeutung der wirtschaftlich Benachteiligten. Die Stille der Armut ist keine Frage des Willens, sondern des Zugangs. Wer jeden Tag kämpft, um das Nötigste zu sichern, hat weder die Zeit noch die Mittel, um für seine Rechte einzutreten. Die Stimmen jener, die unsere Züge sauber halten oder unsere Waren verpacken, werden in politischen Debatten selten gehört. Stattdessen wird ihr Wert vor allem in Zahlen bemessen – Stundenlöhne, Steuern, Gewinne, Sozialhilfe – und die menschliche Dimension gerät dabei ins Abseits.

Menschen, die in der Schweiz am Existenzminimum leben, verkörpern eine Stille, die oft im Schatten des Wohlstands unbemerkt bleibt. In unserem Land, das als Oase von Sicherheit und Reichtum gilt, passen ihre Geschichten nicht in das Bild. Diese Leute leben in einem der reichsten Länder der Welt, kämpfen jedoch mit Unsicherheiten, die für viele von uns unvorstellbar ist: Wie die Miete bezahlt wird, ob am Monatsende noch Geld für Essen bleibt, wie die steigenden Krankenkassenprämien bewältigt werden sollen oder ob dem Kind die für die Schule benötigten Hallenturnschuhe gekauft werden können. Ihre Stimmen verhallen oft, weil Armut in der Schweiz in vielen Augen als individuelles Versagen und nicht als systemisches Problem wahrgenommen wird.

Gesellschaftliche Aufklärung über soziale Unterstützung ist essenziell. Alleinerziehende, die trotz hohem Arbeitspensum nicht über die Runden kommen, ältere Menschen, deren Renten kaum zum Leben reichen, oder Familien, die jeden Rappen umdrehen müssen. Ihre Stille ist kein Schweigen, sondern ein unfreiwilliges Verstummen – ein stiller Appell an eine Gesellschaft, die in ihrem Wohlstand so bequem geworden ist, dass sie ihre Schwächsten übersieht.

Menschen mit Behinderungen wiederum begegnen einer anderen Form des Schweigens – dem Schweigen, das aus der Unfähigkeit entsteht, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Oft werden sie übersehen, nicht aus Bosheit, sondern aus einer tief verwurzelten Ignoranz und/oder Scham. Ihre Stimmen, die nach Barrierefreiheit, Respekt und Anerkennung rufen, stossen auf taube Ohren. Doch in einer Welt, die «Inklusion» als Schlagwort nutzt, bleiben ihre Perspektive und Talente eine ungenutzte Quelle für Innovation und Menschlichkeit.

… und dies sind nur ein paar wenige Beispiele.

Diese Stille ist nicht passiv. Sie ist kein leeres Schweigen, sondern ein stummer Aufruf. Eine Gesellschaft, die sich der Stimmen der Stillen beraubt, beraubt sich selbst in ihrer Wirklichkeit. Die Frage ist nicht, ob wir sie hören können, es ist, ob wir bereit sind, ihre Wahrheit zu akzeptieren, selbst wenn sie unbequem – oder einfach auch nur anders – ist.

Es reicht nicht, Mitgefühl zu empfinden oder schöne Worte über Gerechtigkeit zu verlieren. Es erfordert aktive Anstrengung, die Mikrofone umzudrehen und denen zuzuhören, die wir zu lange ignoriert haben. Wenn die «Silent Voices» weiterhin überhört werden, bauen wir eine Zukunft auf einem Fundament, das nicht hält. Doch wenn wir zuhören, können wir eine Gesellschaft schaffen, die nicht nur mehrstimmiger, sondern auch gerechter und nachhaltiger ist. Denn wahre Stärke liegt nicht in der Lautstärke der Macht, sondern in der Fähigkeit, die Stille zu hören und somit zu verstehen.

Schlussgedanken

Stille ist niemals nur Stille. Sie ist das Echo unserer Entscheidungen, die Auswirkung unserer Prioritäten. Und je länger weggehört wird, desto lauter wird das Schweigen. Es reicht nicht, die «Silent Voices» wahrzunehmen, sondern es soll ihnen aktiv zugehört werden. Denn eine Gesellschaft, die ihre Stillen ignoriert, wird irgendwann selbst verstummen.

Die FH Graubünden möchte einen Raum darstellen, in dem alle Perspektiven und Meinungen willkommen sind und Gehör finden. Durch den Dialog und das Einbeziehen aller können wir gemeinsam wachsen und dazu beitragen, dass die Fachhochschule ein Ort ist, an dem sich jede Person entfalten kann.

Fachstelle Diversity, Corin Harzenmoser

ENGLISH

Thoughts on « Silent Voices »

In a world overflowing with noise, opinions, and information, an uncomfortable truth emerges: some voices remain unheard. Not because they have nothing to say, but because a decision has been made to deny them space. These «Silent Voices»—the quiet and invisible members of our society—carry a burden that is often heavier than we are willing to admit or imagine. They are not mute, but their words are drowned out by the clamor of those who dictate which stories matter.

«Silent Voices» refers to the voices of individuals or groups in society whose opinions, needs, and experiences are either undervalued or entirely disregarded. These voices can be marginalized or ignored for various reasons:

  1. Systemic Oppression: People are deliberately excluded due to prejudice or social norms. Examples include ethnic minorities, women in patriarchal societies, or the LGBTQIA+ community.
  2. Socioeconomic Disadvantage: Poverty, low levels of education, or social isolation make it difficult for people to be heard. Examples include migrant workers, individuals living at or below the poverty line, or the unemployed.
  3. Political or Cultural Marginalization: Religious or cultural minorities are often among the «Silent Voices» because their lifestyles or beliefs do not align with the majority and are therefore excluded.
  4. Invisibility within Power Structures: Children, the elderly, or people with disabilities are often excluded from decision-making processes, even though they are directly affected by the outcomes. Their perspectives are overlooked because they do not fit into the dynamics of power and control.

The silence of the marginalized is not coincidental. It is the result of decades of structures designed to maintain privileges and distribute power unevenly. Ethnic minorities, women, and individuals with diverse sexual orientations and identities are not only fighting to be heard but also striving for their realities to be recognized as equally valid. These are not isolated cases but systemic patterns. Those who resist these patterns are drowned out, belittled, or outright ignored to preserve the familiar framework. Yet, the longer we fail to listen, the more unstable the foundation for all of us becomes.

The silent exploitation of the economically disadvantaged is no different. The silence of poverty is not a matter of will but of access. Those who struggle daily to secure the bare necessities lack the time and resources to advocate for their rights. The voices of those who clean our trains or package our goods are rarely heard in political debates. Instead, their worth is measured in numbers—hourly wages, taxes, profits, social welfare—while their human dimension is sidelined.

People living at the poverty line in Switzerland embody a silence that often goes unnoticed in the shadow of affluence. In a country renowned as an oasis of security and wealth, their stories don’t fit the image. These individuals live in one of the richest countries in the world but grapple with uncertainties that many of us can hardly imagine: how to pay rent, whether there will be enough money for food at the end of the month, how to cope with rising health insurance premiums, or whether they can afford the gym shoes their child needs for school. Their voices are often unheard because poverty in Switzerland is perceived by many as an individual failure rather than a systemic problem.

Public awareness of social support systems is essential. Single parents who struggle to make ends meet despite long working hours, elderly people whose pensions barely cover basic living expenses, or families who have to count every cent—they are not silent by choice, but because they are forced into quiet submission. Their silence is not an absence of speech but an involuntary muteness—a quiet appeal to a society that has grown so comfortable in its affluence that it overlooks its most vulnerable members.

People with disabilities encounter another form of silence—the silence born of an inability to meet them on equal terms. Often, they are overlooked not out of malice but due to deeply ingrained ignorance or shame. Their voices, which call for accessibility, respect, and recognition, often fall on deaf ears. Yet, in a world that uses «inclusion» as a buzzword, their perspectives and talents remain an untapped resource for innovation and humanity.

...and these are just a few examples.

This silence is not passive. It is not an empty quiet but a mute call to action. A society that deprives itself of the voices of the quiet deprives itself of its own reality. The question is not whether we can hear them, but whether we are willing to accept their truths, even if they are uncomfortable—or simply different.

It is not enough to feel compassion or utter beautiful words about justice. It takes active effort to turn the microphones toward those we have ignored for too long. If the «Silent Voices» continue to be overlooked, we will build a future on a foundation that will not hold. But if we listen, we can create a society that is not only more diverse but also fairer and more sustainable. True strength lies not in the loudness of power but in the ability to hear the silence and thus understand.

Final thoughts

Silence is never just silence. It is the echo of our decisions, the consequence of our priorities. And the longer we fail to listen, the louder the silence becomes. It is not enough to notice the «Silent Voices»; we must actively listen to them. Because a society that ignores its quiet voices will eventually silence itself.

The University of Applied Sciences of the Grisons (FH Graubünden) strives to be a space where all perspectives and opinions are welcomed and heard. Through dialogue and inclusion, we can grow together and make the university a place where everyone can thrive.

Diversity Management, Corin Harzenmoser

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