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Patron Driven Ac­qui­si­ti­on: Ist es so gut, wie es scheint?

von Karsten Schuldt

Patron Driven Acquisition (PDA) ist eines der aktuellen Themen des Bestandsmanagements. Die beteiligten Bibliotheken übernehmen die bibliographischen Daten zahlreicher E-Books, kaufen die E-Books aber nicht sofort. Erst, wenn Nutzerinnen und Nutzer diese im Katalog auswählen, wird eine zuvor definierte Aktion ausgelöst: Kauf des Mediums, Leihe über die Bibliothek, Vorlage als Kaufvorschlag. Zahllose Modelle für PDA existieren, bei denen zum Beispiel bestimmte Höchstsummen festgelegt werden können, bei denen die Bibliotheken bestimmte Formen der Intervention haben oder auch bei denen bestimmte Grenzen eingerichtet werden.

Die in der Literatur geschilderten Erfahrungen sind durchweg positiv: Bibliotheken berichten von sinnvollen Ergänzungen ihrer Bestandsstrategien, davon, dass das Angebot von den Nutzerinnen und Nutzern als Erweiterung des Bestandes wahrgenommen wird (da mehr Titel zur Auswahl stehen) und gleichzeitig die befürchteten Missbräuche durch bestimmte Nutzerinnen und Nutzer nicht vorkommen. Die wenigen geschilderten Probleme (so vor allen die Frage, wie die Daten von nicht mehr angebotenen Medien aus dem Katalog entfernt werden), scheinen der Literatur nach eher temporär zu sein und bald gelöst zu werden. Die Ausleihen der Medien, welche per PDA angeschafft werden, scheinen kontinuierlich höher zu sein, als anderweitig ausgewählte Medien. Tyler et al. (2103) untersuchten dies, um eine grössere Studie herauszugreifen, an Daten der Universitätsbibliothek der University of Nebraska. Rösch (2013) fragt in einem Beitrag direkt, ob die Konsequenz aus diesen Ergebnissen nicht sein müsste, die Fachreferate in Frage zu stellen; konstatiert allerdings, dass diese Frage immer wieder umgangen würden, indem Patron Driven Acquisition nur als Ergänzung des Bestandsaufbaus beschrieben wird.

Fehlt die Skepsis?

Gibt es wirklich eine einfache Lösung für die Probleme der Bestandsauswahl? Rösch (2013) benennt in ihrem Text, der auf Interviews mit Fachreferentinnen und -referenten basiert, zumindest einigen passiven Widerstand von deren Seite. Ansonsten scheint die Darstellung von PDA erstaunlich positiv. Das sollte zumindest skeptisch machen. Nicht, dass man immer alles ablehnen müsste. Aber man sollte als Bibliothekswesen zumindest in der Lage sein, Angebote auf ihre möglichen Auswirkungen hin zu befragen.

In einem aktuellen Text stellen sich zwei Kollegen, Sens & Fonseca (2013), dieser Herausforderung. Der Text ist an gewissen Stellen etwas undifferenziert, die Literatur – wohl aufgrund des langen Veröffentlichungsprozesses – nicht mehr auf dem aktuellsten Stand. Aber er ist eine notwendige Korrektur der bislang äusserst unkritischen Beiträge zum Thema und erfüllt damit eine Funktion, welche die Bibliothekswissenschaft eigentlich immer haben sollte: Das Anregen zum Weiterdenken. Insoweit muss man den Ausführungen der beiden Autoren nicht folgen und kann den Text dennoch mit Gewinn lesen. Er ist zu empfehlen.

Sieben Fragen

Eine der Hauptkritiken des Textes lautet, dass PDA, ohne das dies ausreichend beobachtet würde, die Funktion der Bibliothekskataloge verändern würde. Sie wären nicht mehr die objektive Präsentation eines Bestandes, sondern würden zu Verkaufsinstrumenten:

„If academic librarians are not careful, they could fall into the trap of allowing a PDA agreement to (re)create the OPAC as a shopping tool for patrons, and by extension a marketplace for publishers.“ (Sens & Fonseca 2013, p. 359)

“[PDA] offers vendors and publishers carte blanche, a truly golden opportunity to, for example, unload their backlists by making sure those titles appear first in discovery. […]

It is also likely that the academic library’s OPAC will become is an illusion: What seems like unmediated choice among different titles will in fact be a predetermined list of titles filtered by available offerings.” (Sens & Fonseca 2013, p. 360)

Ein wunder Punkt der bisherigen PDA-Modelle ist tatsächlich, dass die bibliographischen Daten von den Anbietern geliefert werden und nur grob von den Bibliotheken ausgewählt werden. Dies bedeutet, dass nicht nur die Kontrolle darüber, was gekauft wird, zum Teil an die Nutzerinnen und Nutzer abgegeben wird, sondern das gleichzeitig die Kontrolle über den Aufbau des Bestandes zum Teil an die Anbieter abgegeben wird. Zum Teil passiert das – was Sens & Fonseca auch benennen – auch ohne PDA, indem zum Beispiel Approval Plans zur Vorauswahl oder Anschaffungsvorschläge als Basis des Bestandsaufbaus eingesetzt werden. Was Sens & Fonseca betonen ist, dass dies bei Patron Driven Aquisition in viel stärken Masse passiert, gleichzeitig aber nicht thematisiert wird.

Ihre weitere Kritik teilen Sens & Fonseca in sieben kritische Fragen ein:

  1. Sollte die Geschichte von PDA einen Grund zur Besorgnis sein? Die beiden Autoren verweisen darauf, dass PDA oft als technische Lösung für das Problem angepriesen wird, dass ein Grossteil des Bestandes jeder Bibliothek ungenutzt bleibt. Während sie zustimmen, dass solche ungenutzten Teil eines Bestandes Grund sind, um über die Praktiken der Bibliotheken nachzudenken, bezweifeln sie, dass PDA die einzige sinnvolle Lösung wäre. So könnten die Bibliotheken auch zu passiv im Angebot ihrer Medien sein. Der Einsatz von PDA als reine Lösung des Problems würde allerdings dazu führen, dass andere Lösungsansätze – also zum Beispiel aktiver in der Vermittlung der Bestände zu sein – nicht verfolgt würden.
  2. Warum fehlt der Literatur zu PDA die notwendige Skepsis? Sens & Fonseca verweisen darauf, dass PDA für Verlage und andere Anbieter ein Business Modell darstellt. Gleichzeitig sei, so ihre Analyse, der Grossteil der Texte über PDA von Vertreterinnen und Vertretern solcher Anbieter geschrieben. Es sei deshalb nicht verwunderlich, dass diese das Modell positiv darstellen. Allerdings: „The lack of a healthy skepticism in the literature has resulted in a lack of research to determine who will controll the discovery process.“ (Sens & Fonseca 2013, p. 363)
  3. Stehen Verlage/Anbieter und wissenschaftliche Bibliotheken wirklich auf einer Seite? Die Autoren stellen heraus, dass es sehr wohl unterschiedliche Interessen gibt. Während Verlage zum Beispiel gerne auch ihre alten Medien verkaufen würden – teilweise neu verpackt – wollen Bibliotheken die neuesten und zu den Interessen ihrer Nutzerinnen und Nutzer passendsten Medien anbieten.
  4. Gibt es eine „mässige“ Lösung für PDA? Ein grosser Teil der Bibliotheken, welche PDA einsetzen, nutzen Lösungen, bei denen Bibliothekarinnen und Bibliothekare weiter einen Einfluss auf die gekauften Medien haben, indem sie zum Beispiel dem Kauf eines Mediums ab einem bestimmten Preis zustimmen müssen. Sens & Fonseca fragen, ob dies wirklich eine haltbare Lösung ist, wenn gleichzeitig Geldgeber immer weiter versuchen, bei Bibliotheken Geld und Personal einzusparen. Sie deuten an, dass die implizite Hoffnung der Bibliotheken, Patron Driven Acquisition unter Kontrolle zu halten, falsch sein könnte.
  5. Sollten wir skeptisch sein, wenn PDA als Lösung für Probleme der Bestandsnutzung angepriesen wird? Die beiden Autoren kritisieren, dass bislang keine Studie zu PDA das reale Auswahlverhalten von Nutzerinnen und Nutzern mit einbeziehen würde. Zwar scheint es sinnvoll, deren Anschaffungswünsche möglichst schnell zu erfüllen; aber es sei fragwürdig, ob Nutzerinnen und Nutzer beispielsweise tatsächlich die besten Medien – und nicht einfach die ersten, die sie finden – auswählen würden.
  6. Angesichts der fehlenden Nachweise ihrer Wirkung, ist PDA wirklich eine gute Idee? Sens & Fonseca kritisieren vor allem die Vorstellung, dass Bibliotheken bislang nicht in der Lage seinen, ein sinnvolles Bestandsmanagement durchzuführen. Dies sei falsch. Auch bisher hätten Bibliotheken die Interessen ihrer Nutzerinnen und Nutzer mit in den Bestandsaufbau einbezogen: „Any professional and well-trained academic librarian has an arsenal of tools to help keep a collection manageable, current, and topical, and the assumption that the extra day it might take (at worst) for a librarian to approve an ebook purchase will hinder research is ludicrous.“ (Sens & Fonseca 2013, p. 368) Sie zeichnen dabei das Bild einer Bibliothek, die in Kommunikation mit ihren Nutzerinnen und Nutzern am Besten in der Lage ist, einen Blick auf die sinnvolle Entwicklung des Gesamtbestandes zu halten. (Hier kann allerdings gegengefragt werden, ob dies nicht eine sehr positive Darstellung der Arbeit von Bibliotheken ist.) Gleichzeitig verweisen die darauf, dass der Einsatz von PDA zu einer anderen Arbeitsweise von Forschenden führen kann und im schlimmsten Fall „[...] a generation of undiscriminating researchers who favor ease over tenacity at best“ (Sens & Fonseca 2013, p. 368) ausbilden würde.
  7. Gibt es bislang einen ausreichend kritischen Dialog zu PDA? Selbstverständlich sind die beiden Autoren der Meinung, dass dies bislang nicht der Fall ist. Sie erinnern daran, dass es sich bei wissenschaftlicher Arbeit nicht nur darum dreht, möglichst einfach an Dokumente zu kommen: „Lest we forget, academics is not about business; it is about education and scholarship.“ (Sens & Fonseca 2013, p. 370) Das Akzeptieren von PDA als technische Lösung für ein Problem des Bestandsmanagements im Grossteil der bisherigen Diskussion und Forschung zum Thema sehen sie auch als Versäumnis, sich daran zu erinnern, dass Universitätsbibliotheken die Verantwortung haben, Angebote von Verlagen und Anbietern kritisch zu bewerten und im Sinne der besten Interessen der Nutzerinnen und Nutzer zu handeln.

Wie gesagt sollte dem Text nicht unumwunden zugestimmt werden. Gleichwohl ist er anregend und wirft, wenn auch etwas kurz skizziert, wichtige Fragen auf. Das von Sens & Fonseca gezeichnete Bild einer Bibliothek, die sich dazu befähigt, kritisch zu denken und zur Not gegen die Interessen der Verlage und Anbieter zu handeln ist, ist interessant, weil es nicht klar ist, ob Bibliotheken sich tatsächlich dazu in der Lage sehen.

Literatur

Rösch, Henriette (2013) / Die Bibliothek als soziales System im Umbruch : PDA und ihre Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Bibliothek und ihren Nutzern. In: Bibliothek. Forschung und Praxis 37 (2013) 1, 70–77, DOI: 10.1515/bfp-2013-0013

Tyler, David C. ; Falci, Christina ; Melvin, Joyce C. ; Epp, Marylou ; Kreps, Anita M. / Patron-Driven Acquisition and Circulation at an Academic Library: Interaction Effects and Circulation Performance of Print Books Acquired via Librarians‘ Order, Approval Plans, and Patrons‘ Interlibrary Loan Requests. In: Collection Management 38 (2013) 1, 3-32, DOI: 10.1080/01462679.2012.730494

Sens, Jean-Mark ; Fonseca, Anthony J. (2013) / A Skeptic‘s View of Patron-Driven Acquisitions: Is it Time to ask the Tough Questions?. In: Technical Services Quarterly 30 (2013) 4, 359-371, DOI: 10.1080/07317131.2013.818499

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