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Lernen, sozial In­ter­agie­ren, Er­fah­ren, Aktiv sein. Ein Modell für Öf­fent­li­che Bi­blio­the­ken aus Dä­ne­mark

In einem Text in der aktuellen New Library World stellen drei Kolleginnen und Kollegen ein Modell für Öffentliche Bibliotheken vor, welches im dänischen Bibliothekswesen und der Politik für und über Bibliotheken in Dänemark aktuell Verwendung findet. [Jochumsen, Henrik; Hvenegaard Rasmussen, Casper; Skot-Hansen, Dorte / The four spaces – a new model for the public library. In: New Library World 113 (2012) 11/12, 586-597] Erstellt wurde das Modell im Rahmen der neuen nationalen Bibliotheksstrategie, die auch in Dänemark auf die Rezension Rücksicht zu nehmen hat.

Prinzipiell geht das Modell davon aus, dass eine Teilung in virtuelle und physische Bibliothek schon stattgefunden hat. Dies hätte allerdings nicht dazu geführt, dass die Bedeutung der physischen Bibliothek, also vor allem des Bibliotheksraumes, abgenommen hätte. Vielmehr sei es zu einer Veränderung der Nutzung dieses Raumes gekommen. Die Bibliothek würde mehr und mehr als Zentrum von gesellschaftlichen und individuellen Aktivitäten genutzt werden. Darauf soll das Modell reagieren.

Postuliert wird nun von der Arbeitsgruppe, welche das Modell im Auftrag des dänischen Kultusministeriums erarbeitet hat, dass sich die Aufgaben der neuen (Öffentlichen) Bibliotheken prinzipiell in vier Bereiche unterteilen lassen:

  • Lernen (Learning Space)
  • Treffen, sozial Interagieren (Meeting Space)
  • Erfahren (Inspiration Space)
  • Aktiv sein, Erstellen (Performative Space)

Diese Vierteilung soll zur strategischen Planung, Evaluation und zum Umbau von Bibliotheken sowie zur Gestaltung von bibliothekarischen Angeboten dienen. Deutlich sichtbar ist dabei, dass dieses Modell die Tätigkeiten der Bibliotheken weit über den Bibliotheksbestand hinaus begreift. Die Bibliothek soll sich als Einrichtung begreifen, die diese vier Bereiche jeweils lokal ausgestaltet (was auch heisst, zu wissen, was lokal für die potentiellen Nutzerinnen und Nutzer sinnvoll sein kann und was die kulturellen Möglichkeiten für diese ausserhalb der Bibliothek sein können).

The four spaces are not to be seen as concrete 'rooms' in a physical sense, but rather as possibilities that can be fulfilled both in the physical library and in cyberspace. In an ideal library these four spaces will support each other, and thereby support the library's objectives. The overall task is to make all four spaces interact by incorporating them in the library's architecture, design, services, programs and choice of partnerships. (Jochumsen, Hvenegaard Rasmussen, Skot-Hansen, 2012, p. 590)

Das Modell, so die Kolleginnen und Kollegen weiter, sei in dänischen Bibliotheken diskutiert und teilweise auch angewandt worden. Es wurde offenbar auch von Kultusministerium angenommen. Gleichzeitig wirft es natürlich Fragen auf, die im Text nicht angesprochen werden:

  • Was ist eigentlich die Funktion des Bibliotheksbestandes in solchen Einrichtungen?
  • Wie werden die einzelnen Spaces gestaltet und vor allem wieso? Die Bibliotheken sollen offenbar sehr lokal orientiert sein, aber wie lässt sich dies herstellen? Wie lässt sich das lokale Bedürfniss eruieren, wie in bibliothekarische Angebote übersetzen?
  • Sind das dann überhaupt noch Bibliotheken?
  • Gibt es auch Widerspruch zu diesem Modell?
  • Warum wurden gerade diese vier Funktionen ausgewählt? Sicherlich erscheinen sie intuitiv nicht falsch zu sein, aber gibt es nicht andere Funktionen, die auch möglich gewesen wären? Beispielsweise wird für australische Bibliotheken immer wieder deren Funktion bei der Vermittlung des australian cultural heritage betont. Warum wird das in Dänemark nicht thematisiert?

Wichtig scheint aber, dass ein solches Modell, wenn es breit akzeptiert wird, selbstverständlich zum Umbau von Bibliotheken, teilweise auch des Personalbestandes führen muss. Immerhin wird so anders über Öffentliche Bibliotheken nachgedacht, als zuvor. Fast gleichzeitig zu diesem Modell wurden in Dänemark offenbar eine Reihe von „staffless libraries“ eingeführt, die von einer zentralen Bibliothek verwaltet, ohne Personal (dafür mit Videokameras) zugänglich sind. Das nicht nur, weil es als Kompromiss zwischen dem Schliessen von Filialen (aus Geldmangel, wie immer) und dem Wunsch der lokalen Bevölkerung nach einer Öffentlichen Bibliothek ausgehandelt wurde, sondern auch, weil postuliert wurde, dass diese staffless libraries das Erfüllen können, was von kleinen Bibliotheksfilialen ehedem gefordert wird: Die Medienausleihe, hauptsächlich für den Freizeitgebrauch. [Johannsen, Carl Gustav / Staffless libraries – recent Danish public library experiences. In: New Library World 113 (2012) 7/8, 333 – 342] Alle weitergehenden bibliothekarischen Funktionen sind in die zentral in den grösseren Städten gelegenen Einrichtungen ausgelagert.

Das sind beides beachtenswerte Entwicklungen, zumal das schweizerische Bibliothekswesen in der Vergangenheit gerne auf die skandinavischen Bibliothekswesen geschaut und diese teilweise als Vorbild verstanden hat.

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