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(Gates Foun­da­ti­on) Öf­fent­li­che Bi­blio­the­ken mit In­ter­net aus­stat­ten

Seit 2008 betreibt die Bill & Melinda Gates Foundation unter dem etwas grössenwahnsinnigen Titel Global Libraries Initiative in einer Auswahl von Ländern eine Strategie, um auf jeweils nationalem Level Internet-Anschlüsse in den Öffentlichen Bibliotheken zu installieren. Es geht dabei darum – nimmt man die Stiftungsziele ernst, was immer etwas schwer fällt, immerhin ist Bill Gates an Windows und Word Schuld – den Zugang zu unterschiedlichen Medien in der Gesellschaft zu fördern und die Verankerung der Bibliotheken in den Gesellschaften zu verstärken.

Man kann angesichts der Grösse des Vorhabens seine Zweifel haben, auch wenn die Foundation Wert darauf legt, mit lokalen Einrichtungen zusammenzuarbeiten und diesen nicht einfach eine fertige Lösung aufzudrücken. Die Stiftung hat, wie zum Glück so viele andere Stiftungen, aus den Fehlern der früheren Entwicklungshilfe gelernt. Insoweit kann man die Initiative nicht einfach verwerfen. (Andererseits führt dieser Ansatz zu solchen pseudo-genauen Weltkarten, wie dieser hier http://www.beyondaccesscampaign.org/2012/01/21/public-libraries-around-the-world/, auf der für die Schweiz einfach mal eine Zahl von 2000 Öffentlichen Bibliotheken steht, ohne das klar ist, wo diese erstaunlich gerade Zahl herkommt. Das ist halt immer das Problem, wenn man zu gross skaliert.)

In der aktuellen Ausgabe der Performance Measurement and Metrics (13 (2012) 1) äussern sich nun Vertreterinnen und Vertreter aus unterschiedlichen Ländern (Vietnam, Indonesien, Bulgarien, Rumänien, Polen, Botswana, Lettland und Litauen) zu ihrem bisherigen Engagement in dieser Initiative. Sie wären, so das Editorial,1 der Meinung, dass ihre Erfahrungen über den jeweiligen nationalen Rahmen hinaus eine Bedeutung hätten und deshalb verbreitet werden müssten (wobei sie dafür eine Strategie wählen, die weiter unten noch einmal diskutiert wird).

In den Texten selber ist zu lernen, dass eine Durchsetzung von Internet-Zugängen über Öffentliche Bibliotheken selbstverständlich nur dann funktionieren kann, wenn nicht nur über die Technik nachgedacht wird. Vielmehr müssen die Kompetenzen des Personals, die gesellschaftlichen Ansprüche und die Vorstellungen der Nutzerinnen und Nutzer sowie anderer Stakeholder sowie die jeweiligen lokalen Lebensweise und -vorstellungen einbezogen werden. Das ist wenig überraschend, aber auch nicht unwichtig.

Fast alle nationalen Initiativen betrieben:

  • Eine oder mehrere nationale Studien über die Ist-Zustand des Öffentlichen Bibliothekswesens im Bezug auf das Angebot von Internet-Zugängen und darauf aufbauenden Angeboten. Herauszuheben ist dabei, dass die Wünschen der Nutzerinnen und Nutzer nach der Freizeit-Nutzung des Internets zum Teil der Vorstellung der Bibliothekarinnen und Bibliothekaren gegenübersteht, die lieber „sinnvolle“ Nutzungsweisen fördern würden.
  • Fortbildungen des Bibliothekspersonals, die als essentiell angesehen wurden. Dabei wurde teilweise vermerkt, dass dies Fortbildungen nicht dazu geführt haben, dass sich das Wissen in den Institutionen ausbreitete.2
  • Versuche, den Einfluss der Initiative zu bestimmen. Dies geschah relativ unterschiedlich und auch mit unterschiedlichen Erfolgen. Interessant ist, dass für Bulgarien festgehalten wurde (wie es zum Teil auch aus dem skandinavischen Bereich bekannt ist), dass nicht die Zahl der Bibliotheksnutzerinnen und -nutzer gestiegen sei, sondern deren Aufenthaltszeit in den Bibliotheekn.3 In Rumänien stieg zwar die Zahl der Nutzerinnen und Nutzer, aber: je kleiner eine Bibliothek war, um so mehr stieg sie. In grossen (und wohl auch eher urbanen) Einrichtungen war der Anstiege lange nicht so gross. Zu ändern scheint sich vor allem die Funktion der Bibliotheken.
  • In den nationalen Initiativen wurde Wert darauf gelegt, Treffen und Workshops mit möglichst allen Stakeholdern durchzuführen, auch um die Möglichkeiten der Bibliotheken besser zu verankern.4 Ob das immer funktioniert und wie die Bibliotheken eigentlich von den Meinungen der Stakeholder lernen, ist nicht richtig klar. Interessant ist aber, dass fast alle Beteiligten zu diesem Instrument griffen.

Im Vergleich zu den strukturellen Problemen, mit denen sich die Bibliotheken in den beteiligten Ländern herumschlagen müssen, beschäftigt das schweizerische Bibliothekswesen sich selbstverständlich mit First World Problems. Gleichwohl lässt sich grundsätzlich einiges lernen. Insbesondere der Ansatz, über die Technik und die Interessen und Vorstellungen der Bibliotheken hinauszugehen, ist beachtenswert. Zudem versteht die Initiative konsequent die Bibliotheken vor Ort als Expertinnen und Experten der lokalen Interessen und Gemeinschaften (wobei man fragen kann, ob das wirklich so ist oder ob es nicht auch noch eine Entwicklungsaufgabe für Bibliotheken ist, dies zu werden). Dies führt zu einer grossen Autonomie der Bibliotheken bei der Umsetzung der Initiative. Diese gibt Grundlinien und Geldmittel, sie organisiert in gewisser Weise auch einen Austausch zwischen den Beteiligten. Aber sie kann nicht verhindern, dass ihre Mittel entgegen ihrer Vorstellungen eingesetzt werden. Das ist nicht immer schlecht: Eventuell finden Bibliotheken so bessere Verwendungszwecke, aus denen man – wenn man sich darauf einlässt und die Dokumentation vorliegt – lernen kann. (Interessant hier übrigens, dass in den Papers der Initiative nicht von „Best Practice“ geredet wird, sondern von rich stories und democratic public library evaluation statt einfach nur Evaluation geredet wird. Dies ist eine relevante Zuwendung zur gesellschaftlichen Realität, in der die Bibliotheken agieren.)

Versteht man die Bibliotheken als Teil demokratischer Gesellschaften und damit als demokratische Einrichtungen, dann ist diese Autonomie notwendig. Die Initiative lässt sich darauf ein und will weniger kontrollierend, als indirekt steuernd und dokumentierend eingreifen. Insoweit sollte aus diesem Vorgehen auch für das schweizerische Bibliothekswesen mit seinen relativ autonomen Einrichtungen zu lernen sein.

Emerald Whitewashing?

Wie erwähnt, wollen die Beteiligten der Initiative ihre Erfahrungen dokumentieren und weitergeben. Das ist zu begrüssen. Allerdings ist der gewählte Weg etwas erstaunlich. Performance Measurement and Metrics ist eine Zeitschrift, die im Emerald-Verlag erscheint. Einem Wissenschaftsverlag, bei dem zu fragen ist, ob ihn nicht die gleiche Kritik wie Elsevier (dem ja in letzter Zeit tatsächlich offensiv Kritik aus der wissenschaflichen Community entgegenschlug) trifft. Auch Emerald verkauft lieber Pakete als Einzeltitel, vergibt Lizenzen statt Zeitschriften zu verkaufen, zieht erstaunliche Gewinne aus den elektronischen Veröffentlichungen. Auch dieser Verlag ist Teil des Gesamtproblems Zeitschriftenkrise, wenn auch nicht so prominent wie Elsevier. (Dafür aber für den LIS-Bereih wichtiger.)

Nun wurde von der Initiative diese Zeitschrift als Publikationsort gewählt, während sich eigentlich andere Publikationsformen aufdrängen würden.5 Gleichzeitig hat der Verlag zugestimmt, alle Texte, die mit der Initiative im Zusammenhang stehen mit einem Embargo von neun Monaten als Open Access zu veröffentlichen. Dies wird sowohl im Editorial als auch im abschliessenden Text des Schwerpunktes gesondert herausgestellt.6 Gerade deshalb ist es auffällig: Warum muss das gesondert betont werden? Steht da die Macht der Gates Foundation hinter oder bekennt sich der Verlag wirklich zu seiner sozialen Verantwortung? (Sind wir doch mal ehrlich: Es klingt natürlich gut, gerade dieses Projekt zu unterstützen.) Warum dann überhaupt das Embargo? Sicherlich darf der Verlag solche Entscheidungen für sich treffen. Aber gerade in Zeiten des Elsevier-Boykotts drängt sich ein ungutes Gefühl auf, dass es hier weniger um soziale Verantwortung geht und mehr um das Whitewashing eines Verlages geht.

Ich zumindest hätte, wäre ich an der Initiative beteiligt, andere Publikationswege gesucht. Schon, weil es sich moralisch besser anfühlt.

 

Fussnoten

1 Streatfield, David (2012) / Impact Plannung and Assessment (IPA) of the Global Libraries Initiative (GL) of the Bill & Melinda Gates Foundation. In: Performance Measurement and Metrics 13 (2012) 1, 5-7.

2 Chiranov, Marcel (2012) / Romania. In: Performance Measurement and Metrics 13 (2012) 1, 24-31.

3 Devetakova, Luba (2012) / Bulgaria. In: Performance Measurement and Metrics 13 (2012) 1, 19-23.

4 Streatfield, David ; Paberza, Kristine ; Lipeikaite, Ugne ; Chiranov, Marcel ; Devetakova, Luba ; Sadunisvili, Renata (2012) / Developing Impact Planning and Assessment at national level: addressing some issues. In: Performance Measurement and Metrics 13 (2012) 1, 58-65.

5 Wobei nichts gegen die Zeitschrift gesagt werden soll. Die ist wichtig und hat sich gerade für die wissenschaftliche Bearbeitung von Praxisfragen im Bibliothekswesen etabliert.

6 Streatfield, David (2012) a.a.O. ; Streatfield, David et al (2012) a.a.O.

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