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Die Rolle des Wissens in der Or­ga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung (Regula Merz)

Im Rahmen des Master-Studiengangs Information Science an der HTW Chur müssen Studierende im zweiten Semester unter anderem im Modul "Organisationsentwicklung" als Teil des Leistungsnachweises ein Essay verfassen. Die Aufgabe bestand darin, die vorgegebene These kritisch (im Sinne der Dialektik) zu diskutieren und dazu einen dreiseitigen Essay (max. 10‘000 Zeichen inkl. Leerzeichen) anzufertigen. Wir stellen ausgewählte Essays aus dem vergangenen Frühlingssemester 2011 in den nächsten Tagen hier im Blog vor.

 

 

Die Rolle des Wissens in der Organisationsentwicklung (Regula Merz)

These: Das größte Problem der Organisationsentwicklung liegt in einer ihrer wichtigsten Grundannahmen, nämlich dass das Wissen in der Organisation selbst vorhanden sei.

Die These nimmt Bezug auf die Annahme, dass wesentliches Wissen in jeder Organisation vorhanden sei und nur jeweils nutzbar gemacht werden müsse (Bau 2011, Einführung, S. 11). Hier stelIt sich die Frage, ob es besonders schwierig sei oder manchmal sogar unmöglich, Wissen in einer Organisation zu aktivieren und zu generieren? Kann es sein, dass relevantes Wissen häufig fehlt oder liegt etwa der „Teufel im Detail“? Welches sind die Ursachen für das in der These geäusserte grosse Problem? Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden.

Tatsache ist, dass das Wissen immer weiter zunimmt und dass wir Menschen im heutigen Informationszeitalter und in der sogenannten Wissensgesellschaft uns, sowohl im Berufs- wie auch im Privatleben, mit technischen Weiterentwicklungen, gesellschaftlichen Veränderungen, der Globalisierung u. a. m. auseinanderzusetzen haben. Dies bedeutet, dass wir uns ständig anpassen müssen, dazulernen und uns weiterentwickeln müssen, wenn wir uns schon nur zurechtfinden wollen, aber noch viel mehr, wenn wir mit der Zeit gehen und kompetent sein möchten, um doch niemals die Chance zu haben, alles wissen zu können.

Organisationen bedienen sich des „Wissensmanagements“, um einen bestmöglichen Umgang mit Wissen und damit auch Erfolg erzielen zu können. Nach North (North 2005) ist Wissen für eine Organisation aber erst dann wertvoll, wenn es in Handlung umgesetzt werden kann. Diese Fähigkeit der praktischen Umsetzung wiederum, die als „Kompetenz“ bezeichnet wird, setzt Motivation bzw. Wille des Handelnden voraus (ebd.).

Wissen stützt sich auf Daten und Informationen, ist jedoch personenabhängig. Es kann gemäss Polanyi (Polanyi 1958) in implizites und explizites Wissen unterteilt werden. Während es sich beim expliziten Wissen, um in Büchern etc. dokumentierte Sätze, mathematische Formeln und technische Daten handelt, setzt sich implizites Wissen aus den Erfahrungen einer Person zusammen, welche auch nur in ihrem Unterbewusstsein vorhanden sein können (Schiersmann et al. 2010, S. 345). Explizites bzw. ausdrückliches Wissen kann von einer Person klar kommuniziert werden, im Gegensatz zum impliziten Wissen, auch stilles Wissen genannt, das jemand umsetzen kann, ohne erklären zu können, wie es geht (z. B. das Gleichgewicht halten beim Fahrradfahren). Folglich ist nicht alles Wissen bewusst vorhanden und verbal vermittelbar.

In seinem Buch „Management von Nichtwissen in Unternehmen“ greift der Herausgeber (Zeuch 2007) das Thema vom Nichtwissen in Unternehmen auf. Dabei handelt es sich nach Willke (Willke 2001) einerseits um Wissenslücken, die geschlossen werden können, andererseits um „eine prinzipiell nicht aufhebbare Ungewissheit möglicher Ereignisse“ (ebd.). Auch Brodbeck (Brodbeck 2007) unterscheidet Nichtwissen von Wissen. Er kommt zum Schluss, dass ein bejahender Umgang mit dem Nichtwissen, d. h. einem bewusst wahrgenommenem Mangel an Wissen, unumgänglich sei, um eine Kultur der Zusammenarbeit in Organisationen schaffen zu können, die sich u. a. in Offenheit und Lernbereitschaft zeige, Kreativität fördere und das Auffinden von neuem Wissen erst  ermögliche. Diese Grundhaltung ist allerdings nicht völlig neu, die Redewendung „ich weiss, dass ich nicht weiss“, geht bis auf Sokrates zurück.

Eine Führungsperson, die daran glaubt, „alles selber zu wissen“ und sich mit dem Grundsatz „ich habe die Zukunft im Griff“ begnügt (Biehal 2000), ist einer erfolgreichen Organisationsentwicklung hinderlich. Um ein Unternehmen gezielt in die Zukunft führen zu können, braucht es den Dialog mit Mitarbeitenden, die Zusammenarbeit mit internen und externen Fachleuten, damit „aus verschiedenen Perspektiven und mit unterschiedlichem Wertungs- und Erfahrungshintergrund“ (ebd.) eine möglichst vollständige Einschätzung des Entwicklungsbedarfs des Unternehmens oder der Organisation entstehen kann. Ein partizipativer, unvoreingenommener, motivierender Führungsstil ist dabei unabdingbar und ist ausschlaggebend dafür, ob die neuen Zielsetzungen und deren Strategien effizient und effektiv ausgeführt werden können und im Alleingang ist dies für eine Person nicht zu schaffen. Die Bereitschaft der Führungsperson, sich mit der Zukunft des Unternehmens auseinanderzusetzen, muss  grundsätzlich gegeben sein. Neues zu überlegen heisst dann auch, das Bisherige in Frage zu stellen, zu analysieren und zu vergleichen, Visionen zu entwickeln und Neues dazuzulernen. Eine ganzheitliche Organisationsentwicklung ist eine grosse Herausforderung und setzt für Führungsleute die Beschäftigung mit einer Reihe von Themen voraus, wie der Bedeutung der Kommunikation, Mitarbeiterentwicklung, Unternehmensidentität und Rolle des Unternehmens in der Gesellschaft, langfristige Zielsetzung u. a.


Schlussfolgerungen:

Wissen ist ein komplexes Gebilde. Wer Wissen richtig anzuwenden weiss, ist im Vorteil, für Organisationen bedeutet dies, einen Wettbewerbsvorteil zu haben. Die Einsicht, nie über vollständiges Wissen verfügen zu können, doch lernbereit, kritisch und offen für Neues zu bleiben, zukunftsdenkend, ist entscheidend für die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens oder einer Organisation und deren langfristigen Erfolg. Diese erwünschte Haltung trifft nicht nur für Projektleitende und Kaderleute zu, sondern für alle Mitarbeitenden. Es ist deshalb wichtig, ein angenehmes Arbeitsklima zu schaffen, das auf Vertrauen, Dialog, Transparenz und Kommunikation, gegenseitiger Hilfe, Ideenaustausch, Team- und Networking beruht. Während einer Veränderungsphase ist dies alles  aber besonders schwierig einzuhalten, da die Veränderungen an und für sich schon Neues bringen und mit Anstrengungen verbunden sind. Da ist eine als Vorbild wirkende, motivierende Führung, konfliktfähig und zukunftsweisend, erforderlich.

Ich habe versucht, punktuell aufzuzeigen, weshalb Wissen in einer Organisation nicht vollständig vorausgesetzt werden kann, weil dieses nur unvollständig vorhanden sein kann und wo oder wodurch es schwierig oder unmöglich sein könnte, das in der Organisation vorhandene Wissen nutzbar zu machen. Der in diesem Essay vorangestellte und von Herrn Bau in der Vorlesung „Organisationsentwicklung“ im Masterstudium „Information Science“ an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Chur aufgestellten These Nr. 3, kann ich zustimmen. Allerdings ist beizufügen, dass es sich dabei nur um „wesentliches Wissen“ handeln kann, niemals vollständiges Wissen und dass dieses zum Teil vorhandene Wissen, wie die These vorgibt, jeweils „nutzbar“ gemacht werden muss, mit andern Worten gesagt: brauchbar, im Sinne von verwendbar, aufgefrischt und erweitert. Dies kann u. a. durch eine „lernfördernde Organisationskultur“ (Schiersmann et. al. 2010, S. 36), durch die kontinuierliche Weiterbildung der Mitarbeitenden gefördert werden, durch in „ungewohnter Weise zusammengesetzte Arbeits- und Projektgruppen“ (ebd, S. 39) und durch „Workshops“,  Methoden wie „Brainstorming“ etc.

Literaturverzeichnis:

Bau, Frank (2011): Organisationsentwicklung. Skript zur Vorlesung, Studiengang Master of Science in Information Science. Chur: Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW).

Biehal, Franz (2000): Warum es einer Unternehmung schwerfällt, sich mit der Zukunft zu beschäftigen. In: Trebesch, Karsten (Hrsg), Organisationsentwicklung, S. 179-184.

Brodbeck, Karl-Heinz (2007): Die Differenz zwischen Wissen und Nichtwissen. In: Zeuch, Andreas (Hrsg.), Management von Nichtwissen in Unternehmen, S. 30-60.

North, Klaus (2005): Wissensorientierte Unternehmensführung: Wertschöpfung durch Wissen. In: Schiersmann, Christiane et. al.: Organisationsentwicklung, S. 344.

Polanyi, Karl (1958): Personal Knowledge. In: Schiersmann, Christiane et. al.: Organisationsentwicklung, S. 345.

Schiersmann, Christiane, Heinz-Ulrich Thiel (2010): Organisationsentwicklung. Prinzipien und Strategien von Veränderungsprozessen. 2., durch. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Trebesch, Karsten (Hrsg.) (2000): Organisationsentwicklung. Konzepte, Strategien, Fallstudien. Stuttgart: Klett-Cotta.

Willke, Heinrich (2001): Systemisches Wissensmanagement. In: Zeuch, Andreas (Hrsg.): Management von Nichtwissen in Unternehmen, S. 14.

Zeuch, Andreas (Hrsg.) (2007): Management von Nichtwissen in Unternehmen. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme-Verlag.

 

 

 

 

Dieses Werk bzw. Inhalt steht unter einer Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-KeineBearbeitung 2.5 Schweiz Lizenz.

http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.5/ch/

 

Verfasserin:                  Regula Merz

Referent:                    Prof. Dr. Frank Bau

Chur, Mai 2011

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