Neue Wege fürs Italienisch-Lernen finden – das ist das Ziel des Forschungs- und Entwicklungsprojekts «Viagg-io» am Institut für Multimedia Production (IMP). «Viagg-io» setzt auf Virtual Reality, um die Sprache und Kultur der italienischsprachigen Schweiz zu erkunden. Lernende werden virtuell ins Tessin und in das Italienischbünden entführt. Statt nur Vokabeln pauken, können die Anwenderinnen und Anwender die italienische Sprache in alltagsnahen Gesprächen wie «vor Ort» erkunden. Nach erfolgreichem Abschluss der Entwicklungsphase beginnt nun die Testphase in den Klassenzimmern, die wertvolle Hinweise für Optimierungen liefert.
«Viagg-io – immersive Entdeckungsreise in die Sprache und Kultur der italienischsprachigen Schweiz»: So heisst es im Projektbeschrieb. «Damit soll die Sprache und Kultur der italienischsprachigen Schweiz in lebendiger und neuartiger Weise vermittelt werden. Wir haben einen interaktiven Medienmix mit Szenen aus dem Tessin und Graubünden produziert, in denen man auf Italienisch sprechen kann. Hierzu braucht es eine VR-Brille», erklärt Elke Schlote. Sie ist Dozentin am Institut für Multimedia Production (IMP) an der FH Graubünden und in der Co-Leitung bei «Viagg-io».
«Mit Viagg-io möchten wir dazu beitragen, das Verständnis für die Minderheitensprache Italienisch in der jungen Generation zu fördern. Damit wird der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt», sagt Elke Schlote, «und es wird erlebbar, dass Sprache und Kultur der italienischsprachigen Schweiz zentrale Bestandteile der Schweiz sind.»
«Digitale Möglichkeiten geben Lernenden nicht nur die Chance, fremdsprachige Wörter zu lernen und die Grammatik zu begreifen, sondern lassen die Lernenden in lebendige Sprachwelten eintauchen», verdeutlicht Elke Schlote. «Gewissermassen aus dem Schulzimmer ins Caffè.» Möglich wird das durch die Verknüpfung neuer Technik und multimedialer Sprachendidaktik.
Unterwegs
Der Name des Projekts ist eine Anspielung auf die beiden italienischen Wörter viaggio («ich reise» oder «die Reise» und «io» ich). Der Name impliziert gemäss Elke Schlote die zentrale Rolle der Lernenden während der gesamten immersiven Erfahrung beim Projekt, das am Institut für Multimedia Production der FH Graubünden als Werkzeug für sprachliche und kulturelle Immersion konzipiert wird. Das Konzept unterscheidet sich von bestehenden Angeboten durch die Integration einer multilinearen Erzählweise von kulturellen Inhalten und Interaktionsformen.
Was heisst das konkret?
Zielgruppe des Medienprodukts «Viagg-io» sind Italienischlernende aller Altersstufen an Mittelschulen der Deutschschweiz, in Bibliotheken und Kulturinstitutionen sowie Interessierte an der Kultur und Sprache der italienischsprachigen Schweiz.
Nach einer mehrmonatigen Entwicklungsphase mit Vortests mit Italienischlernenden am Gymnasium Kirchenfeld in Bern sind die Forschenden überzeugt, dass der Ansatz «Authentisches Lernen und neue Motivation durch virtuelle Reisen» zahlreiche Vorteile hat: Erstens können die Lernenden nicht nur in die Sprachwelt eintauchen, sondern auch in die lokale Kultur. Dabei bewegen sie sich eigenständig durch soziale Situationen und können dabei – zweitens – ihre eigenen Fähigkeiten einsetzen. Drittens soll diese Art von Übung als Motivation dazu dienen, Alltagssituationen (mit Sprachniveau A2) bewältigen zu können.
Wie kommt es dazu?
«Die Idee für das Projekt kommt aus einer Initiative engagierter Italienisch-Lehrpersonen aus Bern, Graubünden und dem Tessin», sagt Ines Honegger Wiedenmayer vom Gymnasium Kirchenfeld, Bern. Für ihre Vision eines Virtual-Reality-Produkts, das sich in Schulzimmern einsetzen lässt, haben sie die Zusammenarbeit mit der FH Graubünden gesucht. Für die Entwicklungsschritte im Projekt wurden Expertinnen und Experten des erweiterten Projektteams beigezogen. Unter anderem die Firma afca in Zollikofen BE, Kulturvermittlerinnen und -vermittler, Italienischdidaktikerinnen und -didaktiker, Italienisch-Lehrpersonen, Expertinnen und Experten für Storytelling sowie Gamification.
Reto Spoerri hat als Co-Projektleiter am Institut für Multimedia Production die Grundlagen für das technische Konzept und die Umsetzung entwickelt: «Wir haben uns überlegt, wie wir die Sprache und Kultur der italienischsprachigen Schweiz naturgetreu und als besonderes Erlebnis an die Zielgruppe der Italienischlernenden bringen können.» Dafür biete sich Virtual Reality (VR) besonders an. Denn VR-Brillen ermöglichen es Benutzerinnen und Benutzern, in die virtuelle Umgebung einzutauchen, so wie es kein anderes Medium kann. «Wir sehen und hören «Viagg-io» in 3D so, wie wir es vom Alltag gewohnt sind.» Ausserdem können Handlungssituationen viel realistischer nachgebildet werden als beispielsweise an einem Computer oder Tablet mit der Maus, Touchpad oder Tastatur.
Szenen in der Südschweiz
Die Handlungsmöglichkeiten in «Viagg-io» sind so gestaltet, dass sie das Lernen über die Sprache und Kultur der italienischsprachigen Schweiz fördern. Benutzerinnen und Benutzer können sich in den virtuellen Räumen bewegen und diese erleben. «Sie fühlen sich, als wären sie vor Ort», sagt Reto Spoerri. Es wurden reale Orte im Tessin, im Misox sowie im Bergell nachmodelliert. Was Benutzerinnen und Benutzer in «Viagg-io» erleben, hängt von ihren Entscheidungen ab. Sie können mit der Reisebegleiterin Francesca zum Beispiel ein Picknick vor einem der Castelli in Bellinzona machen und mit ihr plaudern oder in einem Grotto im Misox ein typisches Risotto kochen. Im Laufe der Reise ergeben sich auch Gesprächsmöglichkeiten mit anderen Personen – wie Francescas Oma oder dem Kellner des Grottos. Mit einem KI-Chatbot kann zudem ein freies Gespräch geführt werden. Während der gesamten «Viagg-io»-Erfahrung werden die Lernenden weder beurteilt noch korrigiert.
Bei den Personen, auf welche die Lernenden in der immersiven Virtual Reality treffen, handelt es sich um real existierende Personen: Es sind lokale Schauspielerinnen und Schauspieler, deren Bild, Körpersprache und Stimmen mithilfe von volumetrischer Videotechnik aufgenommen und in die virtuelle Welt «transportiert» wurden. Dadurch entsteht der Eindruck, mit realen Personen zu sprechen und deren authentische Mimik und Gestik wahrzunehmen. Alle Medien wie Videos, Ton, KI-gestützte Spracherkennung und die 3D-Umgebungen wurden in eine VR-Szene integriert, sodass verschiedene Handlungsstränge erlebbar sind.
Weiterentwickeln
Nun kann das Testing des «Viagg-io»-Prototypen beginnen. Ende März waren die Italienisch-Didaktikerinnen und -Didaktiker der PH Bern an der Reihe. Die Schülerinnen und Schüler am Gymnasium Kirchenfeld in Bern mit ihrer Lehrperson Ines Honegger Wiedenmayer und Fiorenza Lanfranchi und ihre Klasse am Sportgymnasium Davos werden «Viagg-io» im Mai 2025 testen. Aufgrund der Rückmeldungen der Zielgruppe werden weitere Anpassungen folgen, sagt Elke Schlote. «Zudem entwickeln wir didaktische Begleitmaterialien.»
«Viagg-io» kann ausprobiert werden
Wer sich selbst einen Einblick über «Viagg-io» verschaffen möchte, hat bereits in nächster Zeit zwei Möglichkeiten:
- 22. Mai 2025, ab 17:00 Uhr: SGKM-Konferenz, Medienhaus Somedia, Sommeraustrasse 32 in Chur
Infos und Anmeldung
- 22. Mai 2025, 17:15 – 18:00 Uhr, Workshop an der Tagung «Mehrsprachigkeit» in Davos
Infos und Anmeldung
«Wir sind natürlich gespannt auf alle Reaktionen», freut sich Elke Schlote.
Ausleihkonzept entsteht
«Viagg-io» soll nach der Entwicklung für zwei Jahre (bis August 2027) betrieben werden. Derzeit wird ein Ausleihkonzept entwickelt, damit «Viagg-io» kostenfrei an Italienisch-Lehrpersonen für ihren Unterricht sowie an Privatpersonen abgegeben werden kann. Vorgesehen ist, dass für die Ausleihe zwei Kisten mit je sechs VR-Brillen zur Verfügung gestellt werden. Es handelt sich dabei um Stand-Alone-VR-Brillen. Denn nur diese passen in einen Koffer, der versendet werden kann. Die Spedition soll per Postversand erfolgen.
Finanziell am Projekt beteiligt haben sich:
- Bundesamt für Kultur (BAK)
- Mittelschul- und Berufsbildungsamt (MBA) des Kanton Bern
- Kulturförderung Graubünden / Amt für Kultur Graubünden
- Uffcio fondi Swisslos e Sport / toto del Cantone di Ticino
- Gemeinden Bregaglia und Mesocco
Dr. Martin Arnet ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Multimedia Production (IMP) und Dr. Elke Schlote ist Co-Projektleiterin des Projekts «Viagg-io» und Dozentin am Institut für Multimedia Production (IMP) an der FH Graubünden.
Ein sehr spannendes Projekt. Gratuliere Martin und Elke!