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News­o­no­mics: Di­gi­ta­les Öko­sys­tem im Kampf um Auf­merk­sam­keit

“I used to tell people that the Times’ loyal readership was both its great strength and weakness. The good news was that they would read the paper until they died. The bad news was that they were dying“. [1]
kommentiert der scheidende New York Times Tech-Journalist John Markoff die Suche seines Medienhauses nach einem nachhaltigen Geschäftsmodell, das zur Monetarisierung und zum langfristigen Fortbestand der Zeitung beitragen soll.

Text und Bild: Kerstin Wagner

Seit einigen Jahren verändert sich das (digitale) Ökosystem rund um Nachrichten und Berichterstattung rasant. Den grossen Online-Plattformen ist es inzwischen gelungen, im News-Ökosystem eine dominante, einflussreiche Rolle einzunehmen und mit Medienhäusern bzw. Verlagen, werbenden Unternehmen, Werbe-Netzwerken und Nutzern zu interagieren. Es stellt sich daher die Frage, welche strategischen Perspektiven für die Beteiligten für die nahe Zukunft im Raum stehen.

Die sozialen Netzwerke rücken den Medienhäusern auf die Pelle
Mit der Einführung der Instant Articles auf Facebook oder auch Googles Accelerated Mobile Pages (AMP) sind Medienunternehmen und die Online-Plattformen in den letzten eineinhalb Jahren nochmals enger zusammengerückt. Zahlreiche Publisher veröffentlichen seitdem in der mobilen Facebook-App nicht nur die Teaser ihrer Inhalte, sondern ihre kompletten Artikel, Fotos und Videos. Während die Medien früher nur die Links zu den Inhalten ihrer Webseite teilten und das Soziale Netzwerk als reinen Distributionskanal nutzten, ist das mobile Facebook heute nicht mehr Distributionskanal, sondern oft Zielort und somit auch Endstation.

Je nachdem, welches Geschäftsmodell und welche Erlösstrategie bei den Medienhäusern im Vordergrund stehen, wird das Dilemma zwischen Distribution und Destination unterschiedlich angegangen. Medienunternehmen mit einem (digital) werbebasierten Ertragsmodell können ihre Werbeerlöse über soziale Netzwerke erhöhen und verzichten auf die Klicks auf ihre eigenen Seiten. Dort können sie Werbung um ihre Inhalte herum selbst verkaufen oder die Vermarktung Facebook und dessen Werbenetzwerk übergeben. Medienhäuser hingegen, die auf Abos setzen, nutzen soziale Medien primär dazu, neue Leser zu erreichen und diese über Massnahmen hin zu zahlenden Abonnenten zu machen (Conversion Funnel). Eine Vielzahl der internationalen, aber auch der deutschsprachigen Presseformate verbreiten heute ihre Inhalte über soziale Netzwerke. Eine Studie des Tow Center for Digital Journalism zu grossen US-Publishern zeigt, dass diese nahezu lückenlos auf den 21 relevantesten Online-Plattformen aktiv vertreten sind.

Medien vs. Plattform: Wer ist für was zuständig?
Wirft man einen Blick auf das Geschäftsmodell von Medienunternehmen, so beziehen sich deren ursprüngliche Schlüsselaktivitäten darauf, Texte zu verfassen, diese in Print und online zu kuratieren und bereitzustellen, sie über Kanäle (Post, Online-Plattformen, etc.) zu distribuieren und zu monetarisieren. Während Facebook früher in erster Linie für die Distribution genutzt wurde, übernimmt das soziale Netzwerk heute (zumindest in der mobilen Variante) vier der fünf Schlüsselaktivitäten: Es stellt die Inhalte bereit, kuratiert, distribuiert und monetarisiert. Der personalisierte News Feed von Facebook entscheidet, welche Inhalte und wie viel davon der Leser zu sehen bekommt. Jeder Beitrag steht für sich allein und wird im allgegenwärtigen News-Strom angezeigt oder verschluckt. Als Folge werden Medienhäuser zum reinen Content-Lieferanten wie die dpa oder die sda es wiederum für die Medienhäuser sind. So findet eine völlige Reintermediation bzw. Verschiebung in die sozialen Netzwerke statt.

Mobile first!
All diese Entwicklungen lassen sich im Wesentlichen auf einen wichtigen Einfluss zurückführen: Den starken Zuwachs der mobilen Nutzung des Internets und speziell der sozialen Netzwerke. Rund 60% aller Facebook-Nutzer weltweit nutzen das Netzwerk ausschliesslich (!) über mobile Endgeräte. Das sind über eine Milliarde Menschen – eine Zahl, die sich in eineinhalb Jahren mehr als verdoppelt hat. Google und Facebook sind dabei besonders bemüht, dem ungeduldigen Leser ein schnelles und nutzerfreundliches Leseerlebnis (z.B. kurze Ladedauer der Artikel) zu bieten. Dies ist für den Leser bequem, und gleichzeitig nur wenig lukrativ für den Publisher.

Und genau hier liegt das Problem für die Publisher: Mobile In-App-Leser besuchen deutlich weniger die Homepages, so dass die Inhalte und Texte, die von Redaktionen dort bereitgestellt werden, von mobilen Lesern weniger gesehen werden. Oft wurde viel Geld in das neue CMS investiert, nur um dann festzustellen, dass ihre Leser an ganz anderen Orten mit ihren Beiträgen interagieren. Medienhäuser verlieren tendenziell an verschiedenen Stellen die Kontrolle: über die Daten, die Beziehung und das Beziehungsmanagement zu ihren Lesern, (anteilige) Werbeerlöse über Programmatic Advertising, das Ranking in den Suchresultaten und den unvorsehbaren (fremdkuratierten) News Feeds.

Strategische Stossrichtungen
Es stellt sich daher die Frage, welchen Themen in Zukunft mehr Bedeutung zukommen wird, welche Rollen Webseiten von Publishern einnehmen und wie Online-Plattformen nutzenstiftend von allen Akteuren eingesetzt werden können.

  • Beiträge mit Wiedererkennungswert: Wenn Beiträge weit weg von der Webseite des Publishers konsumiert und auch nicht mehr gebündelt dem Leser angeboten werden, muss der Inhalt selbst für etwas stehen und sollte idealerweise die Marke des Publishers bzw. des Autors wiederspiegeln. Diese Beiträge müssen einen hohen Wiedererkennungswert haben, der nicht über das Layout oder den Ort erfolgt, sondern über die individuelle Handschrift, die der Beitrag trägt.
  • Anspruchsvollere Werbung: Display Advertising mit Bannern und Programmatic Advertising ganz generell wird von den grossen Online-Plattformen wie Facebook und Google sehr effizient und sehr effektiv betrieben. Dementsprechend gross ist auch der Anteil an Werbegelder, der von Unternehmen dort investiert wird. Die Frage ist jedoch, inwieweit diese Art der Werbung wirklich zu den Medienunternehmen mit qualitativ hochwertigen Inhalten passt und ob sie in der Lage sein werden, hohe Umsätze über diese Art der digitalen Werbung zu generieren. Daher könnte sich Werbung (Native Advertising, Sponsored Content) dahingehend verändern, dass sie qualitativ anspruchsvoller wird.
  • Nutzung mehrerer Plattformen: Obwohl es für Medienhäuser anspruchsvoll ist, eine Vielzahl an Plattformen zu bespielen, die alle unterschiedlichen Regeln und Funktionsweisen folgen, ist diese Vielfalt trotzdem wichtig. Zum einen werden die Publisher dadurch besser rausfinden, welche Inhalte an welcher Stelle gut funktionieren, zum anderen fördern sie dadurch nicht die Monokultur der dominantesten Player im Markt und schränken ihre Verhandlungsmacht dadurch noch weiter ein.
  • Data Analytics: Aktuell wird in der Branche noch viel Wert auf Metriken wie Reichweite, Sichtkontakte und Klicks gelegt. Diese Metriken sind jedoch unzureichende Indikatoren bei der Frage, wie echter Wert für das Geschäft generiert werden kann. Weiterführende Analysen der Daten (aus erster Hand) bieten das Potenzial vorherzusagen, was dem individuellen Leser auf der Webseite angeboten werden muss – je nachdem von welchem Beitrag, über welche Weiterleitung bzw. welchen Kanal und zu welcher Uhrzeit der Leser kam. Für einen Pendler, der von einem sozialen Netzwerk kommt und nur schnell einen Artikel überfliegen will, wirkt eine Paywall abschreckend. Bemühungen für ein Abo werden erfolglos sein, aber vielleicht kann er auf einer anderen Stufe im Conversion Funnel abgeholt und gebunden werden. Auf diese Weise können Akquisekosten verringert und die Leser besser bei ihren Bedürfnissen abgeholt werden.

Es wird sich zeigen, wie die Entwicklung 2017 weitergeht. Vielleicht wird der mobile Leser gar nicht mehr in seine Apps schauen? Der Kampf um den Lockscreen hat gerade erst begonnen.
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KERSTIN WAGNER
Kerstin Wagner leitet den Kompetenzschwerpunkt «Digitale Strategien» im Schweizerischen Institut für Entrepreneurship. Ein Kerngebiet des Schwerpunkts liegt in Analysen von Nutzer- und Käuferverhalten in Online-Plattformen sowie Customer Journeys auf dem Weg in diese. Darüber hinaus bringt der Kompetenzschwerpunkt umfangreiche Expertise in der Analyse und Interpretation von Online-Daten und daraus abzuleitenden strategischen und entwicklungsbezogenen Entscheidungen mit.

Dies ist ein Blog-Beitrag der HTW Chur.

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