Diversity gilt laut dem renommierten Zukunftsforscher Matthias Horx als der zentrale ,Mega-Mega-Trend‘, der alle anderen sozialen und ökonomischen Trends in einer Art Meta-Prinzip zusammenfasst. Studierende des Studienangebots «Tourism & Change» konnten sich von diesem im Tourismus nach wie vor unterschätzten Erfolgsfaktor persönlich ein Bild machen: im Rahmen einer Exkursion nach Scuol.
Natalie Sanabria-Riesen (Studienassistentin des Masterangebots «Tourism & Change») und Nicolai Scherle (Lehrbeauftragter an der FH Graubünden sowie Prof. für Intercultural Management & Diversity an der FOM Hochschule in München) fuhren Ende Mai mit ihren Studierenden – umweltfreundlich per Bahn – in den ostschweizerischen Kurort, um sich über die vielfältigen Potentiale eines inklusiven Tourismus zu informieren. Inklusiver Tourismus begreift – im Sinne eines strategischen Diversity Managements – menschliche Vielfalt als eine zentrale Positionierungschance für touristische Akteurinnen und Akteure, denn noch nie war unsere Gesellschaft so vielfältig wie zu Beginn des dritten Jahrtausends. Versucht man entsprechende Vielfalt zu strukturieren, greift man in der Regel auf sogenannte Diversitätsdimensionen – etwa Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung, religiöser Hintergrund oder körperliche und geistige Fähigkeiten – zurück, wobei im Idealfall immer die jeweilige Persönlichkeit im Vordergrund steht.
In Scuol – die Destination ist Gründungsmitglied des Fördervereins «Barrierefreie Schweiz» – wurde die Exkursionsgruppe von Stephan Gmür empfangen, der aufgrund eines tragischen Sportunfalls auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Der passionierte Sportler gilt seit Jahren als Pionier eines inklusiven Tourismus und zeichnete als «Produktmanager Barrierefrei» für die inklusive Transformation der ostschweizerischen Destination verantwortlich. Vor Kurzem hat er seine neue Position bei «MountOn» angetreten, einem aufstrebenden Unternehmen, das sich darauf spezialisiert hat, Freizeitaktivitäten für JEDE UND JEDEN zugänglich zu machen.
Ein entsprechendes Mainstreaming von Diversity und Inklusion ist schon deshalb zu begrüssen, da nach wie vor viel zu viele Tourismus- und Freizeitaktivitäten für Menschen mit Behinderung nicht möglich sind. Darüber hinaus darf man keinesfalls das enorme Marktvolumen unterschätzen, das die Inklusion von Menschen mit Behinderungen eröffnet. So werden in der Europäischen Union laut europäischer Reisestudie rund 260 Millionen Menschen als potenzielle Kundinnen und Kunden für barrierefreies Reisen gesehen.
In der Schweiz sind 20 Prozent der Bevölkerung auf barrierefreie Infrastrukturen angewiesen; dieser Anteil dürfte in den kommenden Jahren angesichts des fortschreitenden demographischen Wandels und einer zunehmenden Anzahl an Seniorinnen und Senioren noch deutlich steigen. Last but not least liegt das Marktvolumen für Reisen von Menschen mit Behinderungen oder Seniorinnen und Senioren bei 780 Milliarden Euro.
Im Rahmen der unkonventionellen Exkursion sensibilisierte Stephan Gmür die Studierenden nicht nur für die beachtliche sozioökonomische Relevanz eines inklusiven Tourismus, sondern er zeigte auch anhand konkreter Beispiele auf, welche Massnahmen in den letzten Jahren ergriffen wurden, um Scuol verstärkt für Touristinnen und Touristen mit körperlichen Einschränkungen attraktiv zu machen. Hierbei ergaben sich immer wieder spannende und hilfreiche Perspektivwechsel; um nur ein Beispiel zu nennen: Während historische Pflastersteine das touristische Auge und ästhetische Empfinden von Menschen ohne körperliche Behinderung erfreuen, sind sie für Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer häufig eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. Absolutes Highlight der Exkursion war der Besuch der Therme «Bogn Engiadina», die vielfach als Benchmark für einen barrierefreien Tourismus gilt. Zum einen verfügt die Therme über eine besonders grosszügig geschnittene Umkleideinfrastruktur, zum anderen sind die meisten Becken – mittels Baderollstuhl oder Poollift – barrierefrei zugänglich. Den Abschluss der Exkursion nach Scuol markierte ein gemeinsames Mittagessen, bei dem sich die Exkursionsteilnehmerinnen und Exkursionsteilnehmer im informellen Rahmen mit Stephan Gmür austauschen konnten. Das einhellige Fazit der Gruppe: eine runde Exkursion, die für ein Thema sensibilisiert hat, das sowohl in der Lehre als auch in der Forschung noch reichlich Potenzial bietet. Und das Beste zum Schluss: Der kommende Jahrgang im Masterangebot «Tourism & Change» darf sich erneut auf eine Exkursion freuen, die die relevante Thematik vertiefen wird.
Natalie Riesen-Sanabria ist wissenschaftliche Projektmitarbeitern am Institut für Tourismus und Freizeit (ITF) an der FH Graubünden und Nicolai Scherle ist Lehrbeauftragter an der FH Graubünden.