Industrie 4.0 - eine vieldiskutierte Thematik. Politiker, Wirtschaftsvertreterinnen und Wissenschaftler sind sich einig: Wirtschaft und Wissenschaft stehen vor der Herausforderung, Innovationen zu entwickeln, welche die Chancen der Digitalisierung und Vernetzung nutzen. Doch wie geht das? Ein Blick in aktuelle Beispiele zeigt, dass unter dem Begriff «Industrie 4.0» unterschiedlichste Innovationen umgesetzt werden.
Text: Prof. Dr. Patricia Deflorin / Bild: Prof. Dr. Patricia Deflorin, DFKI, kursiv
«Industrie 4.0 – digitale Transformation made in Germany»; Deutschland hat den Begriff Industrie 4.0 geprägt. Die Schweiz verwendet den Begriff «Industrie 2025», die Amerikaner verfolgen ähnliche Aktivitäten unter der Bezeichnung «Industrial Internet».
Industrie 4.0 referenziert auf die vierte industrielle Revolution. Die ersten drei industriellen Revolutionen beziehen sich auf die Veränderungen der Produktion durch Wasser- und Dampfkraft, die Massenproduktion durch elektrische Energie und die Automatisierung durch IT und Elektronik. Die vierte Revolution umfasst die Potenziale der cyber-physischen Systeme. Ein cyber-physisches System beschreibt die Kommunikation von Elementen über eine Dateninfrastruktur, z.B. das Internet.
Revolutionen beruhen auf disruptiven Innovationen: neue Märkte und Angebote entstehen, altes wird obsolet. Was für Innovationen zeichnen sich im Umfeld von Industrie 4.0 ab? Ein Besuch der World Class Digital Transformation 2016 in Darmstadt zeigt, dass die Möglichkeiten vielfältig sind. Die Grundlage für Innovationen bilden die Entwicklung und Implementierung von Technologien, welche die Digitalisierung und Vernetzung ermöglichen.
Neue Geschäftsmodelle: Verkaufen war einmal
Volvo Construction Equipment (Volvo CE) stellte in Darmstadt den Wandel vom Produzenten zum Dienstleister vor. Heute ist der Verkauf der produzierten Nutzfahrzeuge nur noch eine mögliche Variante; der Einsatz von digitalen Technologien führte zu neuen Geschäftsmodellen. Zum Beispiel werden an den Nutzfahrzeugen anhand von Sensoren Daten aufgezeichnet und übermittelt. Diese werden von Volvo CE analysiert und ausgewertet. Basierend auf den Daten können frühzeitig Ersatzteile organisiert und Wartungsarbeiten durchgeführt werden. Bezahlt wird nicht mehr das Fahrzeug, sondern ein zu Beginn ausgehandelter Anteil der erzielten Einsparungen. Die Ertragsmechanik des zweiten Geschäftsmodells basiert ebenfalls auf der technologischen Entwicklung: Beim «pay-per-use» wird anhand der verarbeiteten Volumen abgerechnet. Spannend ist, dass Volvo CE alle drei Geschäftsmodelle parallel einsetzt.
Intelligente Produkte und Dienstleistungen
Den intelligenten Waschraum vorgestellt hat das österreichische Unternehmen Hagleitner. Die intelligenten Produkte (Seifenspender, Händetrockner usw.) melden der Basisstation ihren Füllstand. Dieser kann dem Endkunden, z.B. dem Stadionbesitzer, auf sein Endgerät übermittelt werden. Dieses Wissen ermöglicht einen gezielten Einsatz des Servicepersonals – Leerläufe werden vermieden.
Die Potenziale der Digitalisierung im Waschraum hat auch das Churer Unternehmen Oblamatik seit längerer Zeit für sich entdeckt. Das Unternehmen setzt auf digitale Armaturen und Steuerungen. Die Vorteile gegenüber konventionellen Systemen sind unter anderem die Vernetzung, Information und Dokumentation, Hygiene, Design, Ökologie und Sicherheit z.B. durch Verbrühschutz.
Vernetzte Prozesse
Industrie 4.0 zielt jedoch nicht nur auf die Erhöhung des Kundennutzens, sondern wird ebenfalls für die Steigerung der eigenen Produktivität, Qualität und Flexibilität eingesetzt. Vielfach liegt der Fokus von Industrie 4.0 in der Produktion; der sogenannten Smart Factory. Der Vortrag von General Motors (GM) zeigt mögliche Einsatzfelder auf: Schnellere Reaktionszeiten in der Fertigung auf Basis von Echtzeit-Produktionsdaten, Benachrichtigungen auf Basis automatisch gesetzter Trigger sowie mobile und digitale Montageanleitungen. Sowohl in der Produktion als auch entlang der Wertschöpfungskette ist die Vernetzung eine der aktuellen Herausforderungen. Wer die dritte industrielle Revolution (Automatisierung und Standardisierung durch IT und Elektronik) ausgelassen hat, wird nun in Teilen gezwungen dies nachzuholen, um die Potenziale von Industrie 4.0 ausschöpfen zu können.
Innovationen für die Zukunft
Die Aktivitäten rund um Industrie 4.0 sind vielfältig – ein Erfolgsrezept um die Potenziale für Industrie 4.0 zu nutzen gibt es nicht. Jedoch können durchaus Erkenntnisse von anderen Unternehmen abgleitet werden. Die HTW Chur und die Universität St. Gallen erarbeiten in einem von der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) geförderten Projekt zusammen mit Wirtschaftspartnern eine strategische Industrie 4.0 Roadmap. Industrie 4.0 Ideen sind unternehmensspezifisch. Die entsprechenden-Suchfelder (Geschäftsmodelle, intelligente Produkte und Services) sind jedoch vergleichbar. Die Umsetzung der Ideen aus den Suchfeldern bedingt die Ableitung und Umsetzung von Massnahmen innerhalb digitaler Technologien, der Vernetzung von Prozessen, dem Aufbau notwendiger Fähigkeiten und der Identifikation der Managementmassnahmen. Selbstredend sind diese Aktivitäten zur Erzielung eines Kundennutzens oder zur Steigerung der eigenen Produktivität einzusetzen. Übergeordnetes Ziel des KTI Projekts ist die Erarbeitung einer Methode, welche Industrieunternehmen in der Erarbeitung von Industrie 4.0 Innovationen unterstützt.
PATRICIA DEFLORIN, PROF. DR.
Prof. Dr. Patricia Deflorin ist Dozentin für Innovationsmanagement und forscht am Schweizerischen Institut für Entrepreneurship SIFE an der HTW Chur.
Dies ist ein Blog-Beitrag der HTW Chur.