Keine andere Kulturpflanze ist in unseren Breitengraden so negativ behaftet wie Hanf. Dabei kann Hanf weit mehr als nur berauschen. Die Blüten liefern den Wirkstoff CBD für Arzneimittel, die Samen werden zu wertvollem Öl gepresst und aus den Fasern lassen sich Textilien herstellen. Weniger bekannt ist die Verwendung des verholzten Teils des Stängels, der sogenannten Schäben. Sie fallen bei der Faserproduktion als Abfallstoff an.
Ein anderer, fast vergessener Baustoff, ist Sumpfkalk. Früher noch wurden alle Häuser damit verputzt, ehe man zum billigeren Verputz auf Mineralölbasis wechselte. Die Herstellung von Sumpfkalk ist denn auch eine schweisstreibende Arbeit. Da werden zuerst einige Tonnen Kalksteine zusammengesammelt und in einem Feldofen etwa sieben Tage lang gebrannt. Bei diesem Brennvorgang entweicht CO2 aus dem Gestein. Nach ein bis zwei Wochen Abkühlung kann der weisse Branntkalk eingesammelt werden. Wird nun Wasser dazugegeben, schäumt das Gemisch auf und verflüssigt sich. Es entsteht gelöschter Kalk, der sogenannte Sumpfkalk. Verwendet man diesen als Verputz oder für Mauersteine, verliert er Wasser und bindet CO2 aus der Luft. Dieser Aushärtungsprozess nennt man Karbonatisierung. Es handelt sich dabei um die chemische Umwandlung von Sumpfkalk zum Kalkstein.
Wir vom Institut für Bauen im alpinen Raum der FH Graubünden versuchen in einem aktuellen Projekt, Hanfschäben mit gelöschtem Kalk zu mischen und dadurch Mauersteine zu produzieren. Mit Schaltafeln haben wir Formen hergestellt, welche wir mit der Mischung befüllen und schliesslich aushärten lassen. Ziel ist es, selbst tragende und isolierende Mauersteine herzustellen, welche im Hausbau Einzug finden sollen. Die Hanfschäben wirken hierbei als Isolationsmaterial. Der Sumpfkalk als Bindemittel zwischen den einzelnen Schäben verleiht dem Produkt Form, Stabilität und Feuerfestigkeit. Die CO2-Bilanz des Produkts lässt sich sehen: Der Hanf gilt aufgrund seines schnellen Wachstums als CO2-negativ, der Sumpfkalk als CO2-neutral. Alle in diesem Vorprojekt verwendeten Baustoffe wurden in der Schweiz bezogen. Die gesamte Wertschöpfungskette liegt vor der Haustüre, unnötige und lange Transportkosten werden vermieden.
Vielleicht fragen Sie sich, weshalb wir Forschung in diesem Bereich betreiben. Wissen Sie, wieviel Abfall jährlich in der Schweiz durch Bautätigkeiten anfällt? Es sind unvorstellbare 74 Millionen Tonnen. Spätestens jetzt wird klar: So kann es nicht weitergehen. Und trotzdem gehört es nach wie vor zum Stand der Technik, die Häuser mit XPS- und EPS-Platten zu isolieren, welche dann wiederum die nächste Generation entsorgen darf. Ein weiterer Pluspunkt der verwendeten Materialien im Vergleich zu den herkömmlichen Baustoffen ist das verbesserte Raumklima. Kalk und Hanf eignen sich hervorragend zur Regulierung der Raumluftfeuchtigkeit. Verputze auf Mineralölbasis können nicht atmen und Wasserdampf aufnehmen respektive abgeben. Eigentlich sollte uns Schweizerinnen und Schweizern die zugesprochene Bescheidenheit in die Hände spielen. Nur mit neuen, ökologischen Baustoffen aus hiesigen Materialien kann es möglich werden, die riesigen Abfallberge aus der Bauwirtschaft zu bewältigen und gleichzeitig die CO2-Bilanz positiv zu beeinflussen. Voraussetzung ist, dass wir unseren gesunden Menschenverstand walten lassen und die Entscheidungsgewalt nicht einzig und allein dem aktuellen Geldbeutel überlassen. Oder wissen Sie vielleicht, wieviel eine intakte Umwelt uns in Zukunft kostet?
Dr. Seraina Braun-Badertscher ist Wissenschaftliche Projektleiterin am Institut für Bauen im alpinen Raum an der einzigen Fachhochschule in Graubünden. Weitere Details zum beschriebenen Projekt finden Sie hier: fhgr.ch/hanf-dolomit-mauersteine. Alle vier Wochen diskutiert die Fachhochschule Graubünden an dieser Stelle aktuelle Themen aus Lehre und Forschung.