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Die 4-Tage-Woche: glei­ches Geld für weniger Arbeit?

Nicht schon wieder, mögen manche Unternehmerinnen und Unternehmer denken und fühlen sich zurückversetzt in die 1980er.

Damals wurde vor allem in Deutschland und Frankreich diskutiert, die Wochenarbeitszeit zu verkürzen und so die gleiche Arbeitsmenge auf mehr Menschen zu verteilen. Wenn heute das Schlagwort 4-Tage-Woche fällt, geht es nicht um die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit oder Umverteilung. Vielmehr sollen die Lebens- und Arbeitsqualität von Arbeitnehmerinnen sowie Arbeitnehmer, Arbeitgeberattraktivität, Motivation und Leistung im Zentrum stehen. In immer mehr europäischen Ländern von Island bis nach Spanien und auch in Graubünden wird über Anwendungen der 4-Tage-Woche berichtet. Eine neue Spinnerei, die für Unternehmen die Kosten nach oben und KMU in den Ruin treiben wird? Oder eine clevere Idee, Arbeitnehmende ein Modell anzubieten, das ihren Bedürfnissen besser gerecht wird und sie damit höher motiviert, loyaler und leistungsfähiger machen kann? Die Antwort darauf ist nicht so einfach.

Studien zeigen, dass die berufstätigen Schweizerinnen und Schweizer schon seit Jahren Freizeit wichtiger als Arbeit bewerten. Die Pandemie zeigte, dass Arbeitnehmende in der Schweiz sehr gut mit der von heute auf morgen eingeführte Tätigkeit im Homeoffice und dem einhergehenden Vertrauensvorschuss umgehen konnten. Homeoffice ist heute auch ohne Lockdown ein akzeptiertes Arbeitsmodell. Das bestätigen Erkenntnisse aus der Motivationspsychologie. Vertrauen und Selbstbestimmung steigern in der Regel Motivation und Arbeitsleistung. Genau diesen Mechanismus wollen die Befürworterinnen und Befürworter der 4-Tage-Woche nutzen und für die Unternehmen wie für die Mitarbeitenden eine verbesserte Arbeitssituation gestalten.

Die Unternehmen sollten jetzt aber nicht pauschal die wöchentliche Arbeitszeit für alle auf vier Tage kürzen. Das würde erstens sehr teuer und wäre zweitens nicht überall praktikabel. Einen kleinen Teil des zu streichenden Arbeitstages könnte man vielleicht sogar auf die verbleibenden vier Tage umverteilen, ohne mit dem Arbeitsgesetz in Konflikt zu geraten und die Tagesbelastung zu stark zu erhöhen. Theoretisch könnte man sogar die gesamte Wochenarbeitszeit auf vier Tage verteilen. Doch das könnte zu Qualitäts- und Arbeitssicherheitsmängeln führen. Die Abläufe im Unternehmen dürfen nicht beeinträchtigt werden. Wenn es den Unternehmen gelingt, zu identifizieren, wo der tägliche Betrieb durch die Flexibilisierung nicht gestört wird, sollten Experimente nicht gescheut werden. Erste Erfahrungen zeigen, dass die Produktivität im 4-Tage-Modell trotz des eingebüssten Tages deutlich steigen und Fluktuation wie auch Fehlzeiten sinken könnten. Ausserdem würden Umfragen zu Folge viele Mitarbeitende sogar Lohneinbussen akzeptieren, um mehr Flexibilität zu erlangen. Letztlich sollten Unternehmen sich bewusst machen, dass die Situation auf dem Arbeitsmarkt noch lange Zeit angespannt bleiben dürfte und gut ausgebildete Fachkräfte es sich immer öfter erlauben können, ihre Wünsche anzubringen.

Ein wichtiger Erfolgsfaktor könnte in der Kultur und im Grundverständnis von Arbeitsverhältnissen liegen. Ein Arbeitsvertrag sollte nicht vorrangig die Definition des Austauschverhältnisses von Arbeitszeit und Lohn sein, sondern das Arbeitsergebnis in den Fokus rücken. Gemeinsam mit den Mitarbeitenden gilt es herauszufinden, wie Arbeitsbedingungen und Zeitmodelle aussehen könnten, um die höchste Leistung zu erzielen. Warum also nicht alte Gewohnheiten aufgeben und mit gut vorbereiteten Experimenten neue Modelle für gesteigerte Arbeitgeberattraktivität, mehr Produktivität und Wohlbefinden am Arbeitsplatz entwickeln? Es ist einen Versuch wert.

Frank Bau ist Professor für Leadership & General Management am Zentrum für Betriebswirtschaftslehre. Alle vier Wochen diskutiert die Fachhochschule Graubünden an dieser Stelle aktuelle Themen aus Studium und Forschung.

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