Zum Inhalt springen
Logo FHGR Blog

FHGR Blog

Bauen als so­zia­ler Prozess – Eine Ver­bin­dung aus Tra­di­ti­on und In­no­va­ti­on

Neue Zusammenarbeit auf Basis gemeinsamer Werte und Ziele.

In Gesprächen mit Handwerkern hört man häufig, dass die Werte und Errungenschaften des Handwerks im Laufe der Zeit verloren gegangen sind. Der direkte Austausch und der Einbezug in die Lösungsfindung würden fehlen. Arbeiten müssten gemäss den Ausschreibungsunterlagen ausgeführt werden, ohne dass praktisches Wissen in die Planung noch mit einfliessen kann. Das gleiche betrifft die Einbindung der Nutzer: Bürgerinnen und Bürger, Schülerinnen und Schüler oder Mitarbeitende können heute nur selten auf Augenhöhe ihre Bedürfnisse in den Bauprozess einbringen.

Bauprozesse sind in den letzten Jahrzehnten immer kleinteiliger und standardisierter geworden. Klar abgegrenzte Aufgaben werden von jedem beteiligten Leistungserbringer isoliert betrachtet und der Prozess als Ganzes in viele kleine Teile zerlegt. Jedes Unternehmen ist nur für seinen Teilauftrag verantwortlich. Durch diese Fragmentierung von Aufgaben entwickeln die einzelnen Anbieter opportunistische Verhaltensmuster. Während der Auftraggeber höchste Qualität, tiefe Kosten und eine kurze Projektlaufzeit erreichen möchte, streben die Auftragnehmer nach höheren Margen für die eigene Leistungserbringung. Bauausführende führen ihre Arbeiten aus, ohne Erfahrungen mit anderen Beteiligten auszutauschen. Tiefe Bieterpreise bei der Ausschreibung werden mit systematischen Änderungsmanagement kompensiert. In Kombination mit der Absicherung von Risiken und budget- oder termingefährdenden Situationen entstehen oft unglückliche Konstellationen, welche ein Gewinner-Verlierer-Gefälle hervorbringen.

Aufgrund dieser Konflikte wurden in den letzten Jahren neue Wege der Zusammenarbeit entwickelt, die ursprünglich intuitive Arbeitsweisen zurückbringen und das Projekt als Ganzes betrachten. Alle Entscheidungen werden auf den Gesamterfolg des Projekts ausgerichtet und Risiken gemeinsam gemanagt. Die Rekrutierung der Partner passiert auf Basis ihrer Fähigkeiten, Arbeiten werden aufwandsbasiert verrechnet und alle Kostenelemente transparent gehandhabt. Beteiligte Unternehmen (z.B. Montagefachkräfte, Vorarbeitende) werden frühzeitig einbezogen, anstehende Aufgaben analysiert, Termine geplant und Lösungen entwickelt. Im Resultat wird ein Gewerke-übergreifendes «Miteinander» erreicht. Sich gegenseitig zu helfen, wird völlig normal.

Damit diese Zusammenarbeit gelingen kann, ist es notwendig, dass die Bauherrschaft in ein optimales Arbeitsumfeld investiert. Dazu gehören neben den Betriebsmitteln und der Logistik auch die Projektsteuerung, die eine Kultur der Zusammenarbeit auf Augenhöhe unterstützt, sowie die notwendigen Technologien, die einer gemeinsame Aneignung bedürfen. Denn auch die Baubranche steht vor grossen digitalen Möglichkeiten. Doch erst wenn die organisatorischen und kulturellen Veränderungen gemeistert sind, können Technologien auch eine Effizienzsteigerung erwirken, die Kommunikation und den Informationsaustausch unterstützen und ein erfolgreiches Miteinander fördern. Dabei darf Technologie nie Selbstzweck sein, sondern muss den Notwendigkeiten des Projekts folgen. Dann kann nur schon die gemeinsame Aneignung, sei es die Betrachtung eines virtuellen Gebäudemodells oder die Nutzung von Tablets auf der Baustelle, zu mehr Teamgeist führen. Diese neue Form der Zusammenarbeit wurde bereits mehrfach erfolgreich erprobt, zuletzt auf der Baustelle der Bioenergie in Frauenfeld.   

Kerstin Wagner ist Dozentin für Entrepreneurship und Projektleiterin am Schweizerischen Institut für Entrepreneurship der FH Graubünden. Marco Faiss ist Inhaber und Geschäftsführer von virtuellFM und methodischer Begleiter von neuen Wegen in Bauprojekten. Alle vier Wochen diskutiert die Fachhochschule Graubünden an dieser Stelle aktuelle Themen aus Lehre und Forschung.

Anzahl Kommentare 0
Kommentare